Ich werde nie vergessen, wie Susan Batson auf meine Frage, was wir denn jetzt machen – nachdem mich der Chauffeur von Jude Law vom Flughafen Bukarest 5h zur Set-Villa von Nicole Kidman in Tarnsilvanien gefahren hatte und ich etwas nervös war – zu mir sagte : „The Work! We just do the Work!“
Ich hatte damals eine grössere Rolle für „Der Milchritter“ von Francoise Sagan am Theater an der Kö in Düsseldorf. Die wollte ich mit Susan vorbereiten und Regisseur René Heinersdorff stand dem ganz clever nicht im Weg. Tagelang machte ich dann mit Susan „The Work“ – die hochindividuell an mich angepasst war und keineswegs nur nach dem Lehrplan oder System wie sie es in ihrem Buch „Truth“ beschrieb, ablief. Letztlich ging es einfach um ein tieferes, umfassenderes Verständnisder Rolle und meiner selbst – um mich detaillierter, tiefer, ehrlicher und authentischer in die Rolle einbringen zu können. Das ist wohl gelungen, das Stück war durchweg ausverkauft. Mit Ivana Chubbuck war es nicht viel anders – auch sie spricht von „The Work“. Mit Ivana 1:1 zu arbeiten ist ebenfalls hochspezifisch und keineswegs so schulisch wie ihr Buch „The Power to the Actor“. Denn auch ihr geht es darum, durch Analyse und Recherche mit dem ureigensten, psychoemotionalen Antrieb des Schauspielers/der Schauspielerin die dramaturgischen Ansprüche an die Rolle zu übertreffen. Also WTF ist „The Work“? Nichts grundlegend Neues – im Gegenteil. Es ist einfach die Beobachtung der menschlichen Natur. Stanislawski war der Erste, der die autodidaktischen Methoden unzähliger Schauspieler/innen zusammengefasst und dann seine Folgerungen daraus gezogen hat. Seine „Grammar of Acting“ sind Übungen, damit Schauspieler/innen wiederholbar emotionale Prozesse initiieren und ausführen können. Diese „Grammar of Acting“ haben Strasberg, Adler, Meisner, Hagen, Batson und Chubbuck weiterentwickelt und konkretisiert. Dabei ist für Schauspieler/innen keine – ich wiederhole – KEINE Technik ein Dogma, sondern viel mehr als Hilfe oder Richtlinie zu verstehen. Aber es muss doch für „The Work“ irgendeine Art Raster geben? Ja und nein. Natürlich haben alle Techniken einen gemeinsamen Nenner, dessen sich Profis auch mehr oder weniger bewusst sind. Aber es gibt so viele unterschiedliche Herangehensweisen und Bezeichnungen dafür, dass es ein Verwirrspiel wäre, diesen gemeinsamen Nenner zuverschriftlichen. Und vielleicht ist dieses Verwirrspiel auch Absicht, um das Geheimnis des Schauspiels und der Illusion zu bewahren – wie einen Zaubertrick. Ich möchte einmal die HARD FACTS – also die Grundparameter der Rollennalyse – aufzählen, die ich persönlich aus Erfahrung als die nützlichste Auswahl bekannter Techniken empfinde und die parallel und mit völlig unterschiedlicher Gewichtung oder Reihenfolge gehandhabt werden können. Genauso, wie die Dominanz eines ausgewählten Parameters die anderen überschatten oder sogar völlig ausblenden kann und darf. Rollenanalyse muss keine eierlegende Wollmilchsau sein, sondern ist dafür da, dass der Schauspieler/die Schauspielerin seinen/ihren kreativen Impulsen vetraut und sie gegenüber der Regie begründen kann. Dann erst „fliegt“ die Rolle, verselbstständigt sich und wird zu 100% glaubwürdig. Hier die HARD FACTS, die sich mit unterschiedlichen Bezeichnungen mehr oder weniger bewusst durch alle Schauspielarbeiten ziehen:
Antoine: Matthias, bevor ich mit Coaching angefangen habe, habe ich mich gefragt: Warum soll ich privat einen Regisseur bezahlen, wenn ich, ich sage das jetzt mal bewusst ein bisschen ketzerisch, kostenlos einen am Set bekomme?
Matthias: Also: Ein Coach ist kein Regisseur. Ein Coach hilft dir, dass du mehr aus der Tiefe schöpfen kannst und somit leichter und nuancierter spielen kannst. Zusammen mit Deinem Coach fütterst du deine Rolle, deine Szenen und dein Instrument mit privaten und /oder sozioökonomischen und psychologischen Informationen an. Das macht die Figur facettenreicher und dadurch ergibt sich die körperliche Haltung der Figur. Dann gebt Ihr ihr noch Doings, also Aktivitäten, die einen emotionalen oder kontrastierenden Ausdruck haben. So gewappnet gehst Du natürlich viel selbstbewusster in Interaktion mit Deinen Spielpartnern. Und deswegen geht man zu einem Coach: Damit man merkt, was man alles aus einer Szene rausholen kann, was man da alles zeigen kann und dass man eben besser mit gefüllten Taschen ans Set kommt. Diese Vorbereitung und Techniken steigern übrigens auch die Spielfreude enorm.
Antoine: Was sind das für Techniken?
Matthias: Nicht für jeden Schauspielerin sind alle Techniken gleichermaßen geeignet. Und da hilft einem der Coach, dass er das, was am besten für ihn/sie funktioniert, findet.
Antoine: Kannst du die unterschiedlichen Techniken beschreiben?
Matthias: Grundsätzlich kann man immer sagen: arbeitet jemand von innen nach außen oder umgekehrt? Wenn er von sich ausgeht und sich fragt, “Wie würde ich privat in dieser Szene reagieren?”, dann ist das ‚von innen nach außen‘. Man greift auf persönliche Erfahrungen zurück, projiziert Situationen seines Lebens auf diese Szene oder fragt sich einfach „What if?“. Das ist die eine Möglichkeit. Die andere Möglichkeit ist von außen nach innen, das heißt, dass man die ganzen sozioökonomischen Hintergründe analysiert hat und versucht, diese Figur erstmal äußerlich darzustellen und überzeugend zu behaupten. Daniel Day-Lewis ist so einer. Das sind die zwei unterschiedlichen Herangehensweisen. Das Interessante daran ist, dass sie sich irgendwann treffen – d.h., dass „von innen nach außen“ irgendwann „von außen nach innen“ wird und umgekehrt. Die zweite wichtige Frage ist, auf welchem technischen Gleis man sich weiterbewegt. Ich arbeite grundsätzlich nach dem – wie ich es salopp nenne -“ABC”: Also nach Stella Adler, Susan Batson und Ivana Chubbuck. Außerdem mit der von mir entwickelten Avatar- Technik und den „Archetypen der Seele“ von Varda Hasselmann. Ich finde es als verantwortungsvoller Coach sehr wichtig, dass ich das Wesen, die Seele des Schauspielers*in kennenlerne, um das dann gezielt mit in die Rolle einbringen zu können. Je nachdem, wie interessiert sie daran sind, teile ich meine Beobachtungen mit ihnen.
Antoine: Ich habe ein Drehbuch zugeschickt bekommen und blättere die erste Seite auf. Wie bereite ich mich konkret vor?
Matthias: Also erstmal würde ich dir empfehlen, das ganze Drehbuch zu lesen – mindestens einmal. Dann müssen die fünf W-Fragen beantwortet werden: Wer ist der Protagonist, wer der Antagonist? Was ist der Konflikt? Wie ist die Art und Weise? In welchem sozioökonomischen Umfeld befinden wir uns? Ist es historisch oder spielt es in der Gegenwart? Was ist die Vorgeschichte dazu?
Antoine: Mache ich die Arbeit nur, wenn ich Protagonist oder Antagonist bin oder auch, wenn ich eine kleinere Rolle habe?
Matthias: Diese Arbeit macht man immer. Auch wenn man eine kleine Nebenrolle hat, muss man wissen, auf welcher Seite man ist. Auf der des Antagonisten oder der des Protagonisten? Der Protagonist treibt voran, der Antagonist bremst. Chemie kann man eben durch diese Vorbereitung aufkonzentrieren und sicherstellen.
Antoine: Mache ich das nur mit Personen oder auch für Orte?
Matthias: Das macht man auch für Orte. Mit welchem Ort aus deinem persönlichen Leben sind die Orte in der Szene vergleichbar? Dadurch weiß man sofort: Wo bin ich, wie fühle ich mich dort, wie agiere ich, wie bewege ich mich. Fühle ich mich wohl, fühle ich mich unwohl, fühle ich mich sicher, fühle ich mich unsicher?
Antoine: Was mache ich als nächstes?
Matthias: Jetzt brauchen wir die Subtexte, das ist das Wichtigste. Du sagst das eine, meinst aber das andere. Also was meinst du, Antoine, ganz persönlich, wenn du das sagst? Was ist der wahre Satz, den du dir dabei denkst? Das braucht überhaupt nicht politisch korrekt zu sein und erfährt auch niemand anderes ausser Dein Coach. Aber ohne starke Subtexte kann man sowieso gar nichts machen. Ohne Subtext ist das Spiel immer flach [[Matthias, kannst du die Subtexte in zwei, drei Sätzen etwas genauer ausführen?]] Subtexte sind die zweite, dritte, vierte Bedeutung eines Wortes oder Satzes für Dich privat. Sie gehen bis ins Intimste, Ehrlichste und Brutalste in Dir und werden nie öffentlich ausgesprochen. Sie können politisch inkorrekt, unter der Gürtellinie oder entwaffnend ehrlich, sein aber sie haben immer eine sehr tiefe Bedeutung für Dich. Das spürt der Zuschauer.
Antoine: Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen der Arbeitsweise in den USA und bei uns?
Matthias: Die Amerikaner sind fleißiger. In Amerika hat Film einen völlig anderen Stellenwert als in Deutschland – das ist mit der größte Export, den Amerika hat. Und dann ist es einfach so, dass alle Departments besser ausgebildet sind. Die haben auch mehr Produktionen, mehr Zeit mehr Geld und Gewinn, mehr Ehrgeiz, so dass sie einfach sehr viel besser sein wollen, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Das fängt schon beim Drehbuch an: sie haben eine so viel effektivere, direkte Technik entwickelt, die wir hier locker nachlesen können. Das macht aber leider keiner. Wir denken, wir müssen das Rad neu erfinden, dabei ist das Rad schon längst erfunden worden.
Antoine: Woran machst du fest, dass amerikanische Schauspielerinnen fleißiger sind?
Matthias: In Deutschland geht man in der Regel vier Jahre lang auf eine Schauspielschule und denkt dann, man ist bis zum Rest des Lebens qualifiziert dafür Schauspielerin zu sein. Eine durchschnittlichen Schauspielkarriere in Amerika dauert fünf Jahre. Es ist einfach oft nur EINER von vielen Jobs, den eine Amerikanerin macht. Dann stolpern die Leute bei Ivana und Susan ins Studio und sagen, ich mache jetzt Schauspiel. Die Techniken sind aber so effektiv, die Schülerinnen gehen regelmäßig zum tainieren ins Schauspielstudio und so können sie sich – je nach Talent – innerhalb kurzer Zeit zu sehr guten Schauspieler*innen entwickeln. Und dann geht es natürlich darum, wie man aussieht, was man für ein Netzwerk hat, was für Rollenfächer man abdeckt. So können relativ schnell Karrieren entstehen – auch wenn es ganz junge oder ältere Leute sind. Sie halten sich einfach durch wöchentliches, manchmal tägliches Training fit. Das meine ich mit fleißiger: dass sie einfach immer an sich arbeiten – sowohl an ihrem Äußeren und Inneren, als auch an ihren Fertigkeiten.
Antoine: In Deutschland hatten wir bis vor dem Zweiten Weltkrieg Rollenfächer. Seitdem nicht mehr. Es gab damals die komische Alte, den jugendlichen Helden und so weiter. Heute sagen viele ‚Um Gottes Willen kein Rollenfach, ich will ja breit aufgestellt sein, ich will mich nicht in eine Schublade stecken lassen‘.
Matthias: Das ist Quatsch. Mir hat Uschi Drews, eine legendäre Agentin, damals gesagt: ‚Ich verstehe euch jungen Leute nicht, wieso wollt ihr nicht in eine Schublade? Ihr müsst doch erst einmal in einer Schublade sein, um überhaupt arbeiten zu können.” Das verstehe ich erst heute, denn man kann und muss die Schubladen im Laufe seiner Karriere ja eh wechseln, da man älter wird und sich weiterentwickelt. Deswegen finde ich es so einfallslos, dass alle immer alles spielen können wollen. Diese Breite führt doch nur zu Langeweile – ich mache alles ein bisschen gut, anstatt dass man ein paar Sachen einfach verdammt gut macht und sich dadurch von der Konkurenz absetzt. Das ist Diversität. Und wenn man dann diese Schublade für sich gefunden hat, dann kann man aus dieser Identität heraus wiederum alles spielen. Ich sage, sei so sehr Du selbst wie möglich – die richtigen Leute werden Dich finden.
Antoine: Adam Sandler und Jim Carrey, bedienen beide das Fach der Komödie, trotzdem trennen die beiden Welten. Kannst du sagen, welche Rollenfächer es heutzutage gibt?
Matthias: Ich arbeite auch nicht mit klassischen Rollenfächern, sondern wie gesagt mit den „Archetypen der Seele“ nach Varda Hasselmann. Ich arbeite mit ihren sieben Archetypen und ihren 49-fachen unterschiedlichen Ausformungen. Das sind zutiefst menschliche, organische und seelische Wesenszuüge, die jedes Lebewesen hat. Wenn man sich damit mal beschäftigt hat, dann kann man relativ einfach sein dramaturgisches Rollenfach bestimmen.
Antoine: Wenn du einen Wunsch frei hättest, was sollte sich in Bezug auf unseren Beruf ändern?
Matthias: Ich würde mir wünschen, dass Schauspielerinnen als Künstlerinnen angesehen werden.
Antoine: Du hast vorhin gesagt, dass in Amerika eine durchschnittliche Karriere fünf Jahre dauert, das ist ja bei uns anders.
Matthias: Ich weiß nicht, woher der Gedanke in Deutschland kommt, dass man Schauspiel studiert und dann ein Recht darauf hätte, den Rest seines Lebens als Schauspielerin zu arbeiten. Sind das irgendwelche sozialistischen Ansätze? So läuft das in der Kunst nicht. Man muss es sich verdienen, als Künstlerin zu arbeiten. Ich finde es als Künstlerin total wichtig ist, dass man die Kunst erstmal nur für sich selbst macht. Und wenn man dann so gut ist, dass die Leute einen sehen wollen, dann kann man auch die Preise aufrufen, die man verdient. Ich sage immer: Man arbeitet nie nur wegen dem Geld, aber auch nie ohne.
Antoine: Wenn man nicht das Recht hat, lebenslang Schauspielerin zu sein, würde das ja bedeuten, dass man immer einen zweiten Beruf ausüben sollte.
Matthias: Ja! Eine Blume blüht ja auch nicht die ganze Zeit. Und es ist bereits ein Kunst, als Künstler zu überleben. Schauspielerinnen sollten immer auch ein zweites Standbein oder so viel Geld auf der hohen Kante haben, dass sie sich nicht von irgendjemandem abhängig machen oder unter Wert verkaufen. Finanzielle Abhängigkeit killt künstlerische Freiheit. Und wenn ihr keinen Erfolg habt und nicht gesehen werden wollt, dann hat das seine Gründe. Denn eher selten ist die Gesellschaft schuld und noch nicht so weit, dass sie eure Botschaft oder euer Spiel nicht versteht. Schauspiel ist eine sehr temporäre Kunst und mehr als alle anderen Künste dem Zeitgeist unterworfen. Habt ein zweites Standbein, womit ihr Geld verdienen könnt. Ihr seid als Künstler nur in Lohn und Brot, wenn ihr Leute erfreut, unterhaltet oder berührt. Und das will gelernt sein! In Amerika sind viele Millionärskinder Schauspielerinnen – in Deutschland übrigens auch – weil sie nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen müssen. Das ist ziemlich elitär, aber man sollte sich als Künstler*in immer sagen: “Ich muss mit meiner Kunst nicht meinen Lebensunterhalt verdienen. Ich tue das für mich und wenn es der Welt gefällt, schön.” Ivanas längster, beruflicher Weggefährte Michael Monks, mit dem sie seit 25 Jahren zusammenarbeitetet, ist zum Beispiel Schauspiellehrer, Coach, erfolgreich arbeitender Schauspieler und hat als viertes Standbein eine Bäckerei. Er fährt also viergleisig und ist somit unabhängig von Jobs als Schauspieler. Ein sehr guter Freund von mir ist ausgebildeter Schreiner, bekam dann jahrelang eine durchgehende Hauptrolle in einer Fernsehserie, hatte eine grossartige Zeit und ging danach jahrelang auf Weltreise. Jetzt ist er verheiratet, hat zwei Söhne, ist wieder Schreiner und arbeitet bei Steinway. Er baut Konzertflügel und ist sehr glücklich. Also alles zu seiner Zeit. Die Arbeit als Schauspieler sollte in individuell unterschiedlichen Anteilen immer diese drei Punkte erfüllen: Selbstverwirklichung, credits für die Vita und Geld. Das sollte man bei jedem Projekt für sich klären.
Antoine: Lieber Matthias, vielen Dank für das interessante Gespräch.
Autor*innenbox Matthias Beier ist hauptberuflich Coach für professionelle Film- und Fernsehschauspieler, war zwanzig Jahre selber Schauspieler und steht heute nur noch aus Spass vor der Kamera. Er arbeitet außerdem als Autor, Lektor und Kolumnist. Er lebt, zusammen mit seinem Lebensgefährten Oscar, in Berlin und München.
Antoine Monot, Jr. ist Schauspieler und Vorstandsmitglied des Bundesverband Schauspiel. Dort verantwortet er das Ressort Marketing und, zusammen mit Klara Deutschmann, das Ressort Gender und Diversität. Antoine Monot, Jr. leitet die Redaktion des Schauspiegels. Er lebt, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Stefanie, in München.
Die 5 wichtigsten Bücher, die Schauspielerinnen lesen sollten: Stella Adler: Die Schule der Schauspielkunst Susan Batson: Truth Ivana Chubbuck: Die Chubbuck-Technik: The Power of the Actor Dieter Hoffmeier: Stanislavskij – Auf der Suche nach dem Kreativen im Schauspieler Varda Hasselmann und Frank Schmolke. Die Archetypen der Seele DIE 5C´s:
Wie lerne ich Text?
Der Text ist Freund und Feind zugleich. Er gibt Power und verursacht trotzdemVersagensängste. Selbst die grössten Schauspielerinnen bewegen sich in diesem ambivalenten Verhältnis zum Text. Und das ist gut so, denn diese Dualität hält uns lebendig. Aber der Reihe nach. Warum müssen wir überhaupt Text lernen? Weil es Profis wieShakespeare, Schiller&Goethe und andere verdammt gute Autoreninnen gibt, die Texte schreiben, die wir mit eigenen Worten wohl kaum besser ausdrücken könnten. Und der Text ist das Gerüst und eine Abmachung mit allen Beteiligten – den Kollegeninnen, Regisseurinnen und dem Team. Oft und gerade in Film- und Fernsehproduktionen sind Texte leider oft nicht von Vollblut-Profis geschrieben. Manche dilletantischen Drehbuchautoreninnen schreiben einen Roman statt ein Drehbuch – was eine Beleidigung gegenüber der künstlerischen Freiheit von Regisseureninnen und Schauspieler*innen ist. Gute Texte sind nie „eng“ geschrieben, sondern werden immer offen gehalten für verschiedenste Interpretationen. Wenn der Text akzetabel ist, dann geht es jetzt ans Textlernen, oder? Nein. Als Allererstes kommt die Geschichten- und Rollenanalyse sowie die Klärung der Beziehungen zu allen anderen Rollen. Gehört Deine Rolle zum Team Protagonist oder zum Team Antagonist? Es werden die basic Parameter Deiner Rolle geklärt – wie overall-objective, need, actions, obsticals, Personalisierungen und substitutions, emotional memories, der Avatar, die Icon usw. – ganz gemäß Deiner Technik. Wenn Dir klar ist, um was es Dir und Deiner Rolle in der Geschichte geht, dann will und muss der Text wie ein Acker gepflügt und strukturiert werden. Mit unserer inneren Arbeit sähen wir dann die Samen aus, die im Spiel erblühen können. Aber erstmal teilen wir das Drehbuch in die 5 Akte – oder wie Susan Batson sie nennt – in die „5 C´s“:
Jetzt gehen wir in die einzelnen Szenen – oder wie Susan Batson und Ivana Chubbuck es nennen – ins „Beaten“. Das heisst, wir geben der Szene Taktstriche. Jeder neue Gedanke ist ein neuer Beat. Und weil es sehr viele Gedanken geben kann, brauchen wir erstmal eine Grundstruktur und machen dasselbe wie mit dem ganzen Buch mit jeder einzelnen Szene: Wir unterteilen in 5 C´s. Erst danach differenzieren wir diese in weitere Takte. Nun füttern wir die Beats mit unserer „inner work“, also unseren inneren Bildern und Satzes für Dich privat. Sie gehen bis ins Intimste, Ehrlichste und Brutalste in Dir und werden nicht öffentlich ausgesprochen. Sie können politisch inkorrekt, unter der Gürtellinie oder entwaffnend ehrlich sein, aber sie haben immer eine sehr tiefe Bedeutung für Dich. Das spürt der Zuschauer. Dann finden wir ein oder mehrere „doings“, also eine sichtbare Tätigkeit der Rolle, welche die inneren Bilder andeutet oder kontrastiert. JETZT ERST GEHT ES ANS TEXTLERNEN! Denn wenn die Analyse vorher nicht gemacht wurde, dann lernst Du den Text falsch oder betonst ihn falsch und wirst starr und unflexibel, weil Dir die Bedeutung der Worte und der Taten nicht bewusst sind. Es ist sehr schwierig, falsch gelernten Text wieder zu neutralisieren und neu zu lernen. Das ist doppelte Arbeit und am Set fatal. Genauso wie es unterschiedliche Menschen gibt, gibt es unterschiedliche Schauspieler*innen-Typen und eben unterschiedliche „Text-Lern-Typen“. Es gibt sieben unterschiedliche „Reaktionszentren“. Ein Reaktionszentrum ist der körperliche Ort, aus dem heraus ein Mensch zuallererst auf unerwartete oder neue Ereignisse reagiert. Wenn wir also einen neuen Text lernen müssen, dann ist das einäusseres Ereignis, auf das wir am besten mit unserem uns eigenen Reaktionszentrum reagieren, damit arbeiten und es integrieren. Die 7 Reaktionszentren sind: Das emotionale, das intellektuelle, das sexuelle, das instinktive und das motorische Zentrum. Das spirituelle und das ekstatische Reaktionszentrum sind vorrübergehende Zentren, die kein Mensch dauerhaft oder bewusst aufrechterhalten kann.
Inspiration -> Intuition -> Instinkt. Übersetzt für Schauspiel und Textlernen bedeutet das:
Nachdem ich mit einem der letzten Flieger kurz vor dem Shutdown aus LA
zurückkam, fragten mich alle: „Na, Matthias – wie war´s denn in Hollywood?“ Aber der Reihe nach: 2005 hat Ivana Chubbuck ihr Buch „The Power of the Actor“ herausgebracht -mmittlerweile ein Standardwerk mit dem sie die Schauspielwelt revolutioniert hat. Ich bin ja skeptisch gegenüber allen Hypes und Moden, aber immerhin habe ich es 2020 geschafft, Ivana und ihre Technik aufs Genaueste zu studieren. Nicht aus zweiter oder dritter Hand, sondern neben ihr höchstpersönlich im Epizentrum – ihrem Studio auf der Melrose Avenue in Hollywood. Doch bevor ich meine Eindrücke schildere, möchte ich für alle unbeleckten oder jungen Schauspieler einen kurzen Streifzug durch die letzten hundert Jahre Schauspielgeschichte machen, um das Phänomen Ivana Chubbuck richtig einzuordnen zu können:
Die Schauspielkunst ist wie ein Spinnrad.
Das Rad muss nicht neu erfunden werden, es braucht nur immer wieder einen neuen Anrieb. Ich würde sagen, etwa alle 25 Jahre wird in der Schauspielkunst ein neuer, entscheidender Impuls generiert. Anfang des 20. Jahrhunderts war es der Russe Konstantin Stanislavski, der als Erster alle bisherigen Schauspieltechniken dokumentiert und weiterentwickelt hat. Sein schauspielerischer Realismus war bahnbrechend und Stanislavski wurde zum legendären Meilenstein der Schauspielgeschichte. 1923 kam seine Theatertruppe für ein Gastspiel nach New York und derenm Vorstellungen bildeten das Schlüsselerlebnis für die Veränderung der amerikanischen Schauspielkultur. Daraus bildete sich die berühmteste Schauspielwerkstatt der Welt, das „Actor´s Studio“ – und die Intimfeindschaft zwischen Lee Strasberg und Stella Adler. Dabei hatten die beiden künstlerisch denselben Ursprung. Nur widmete sich Strasberg der frühen Schaffensphase Stanislavskis und Adler der späten. Also den Zugängen zur Rolle von innen nach aussen (Strasberg) und von aussen nach innen (Adler). Stanislavskis Lehre war eben „gründlich und vollständig, abgerundet und systematisch auf einem unübertroffenen Niveau“ (Stella Adler). Die beiden Zweige von Strasberg und Adler verästelten sich weiter mit Mamet, Meisner, sowie Uta Hagen und Susan Batson. Letztere erschuf den Begriff „Need“ – das grösste, unbewusste Bedürfnis eines Charakters. Damit kulminierte und implodierte der Zweig des „von innen nach aussen“. Denn wie soll man etwas nicht Existentes darstellen? 2001 war die schauspielerische Wissenschaft buchstäblich am
Ground Zero. Der Zugang zu den eigenen Emotionen gehörte zwar nun zum Standard eines Schauspielers. Aber die Entwicklung konnte nur mit einer Rückbesinnung auf die Textanalyse und physische Handlungen weiter gehen. Anstatt der Persönlichkeit des Schauspielers rückte nun wieder die Rolle ins Zentrum des schauspielerischen Schaffens, denn: „Stanislavski sagte, man könne vom Schauspieler verlangen zu handeln, niemals jedoch zu fühlen.“ (Stella Adler). Und nun erschien Ivana Chubbuck auf der Weltbühne des Schauspiels: Sie benutzte den Zugang des Schauspielers zu seinen eigenen Emotionen zur Erfüllung des Zieles seiner Rolle – die „Objective“ wurde wiedergeboren. Dieser Geschichtsexkurs war nur dafür da, damit wir uns einer Sache klar werden: Ivana is a fucking legend! Sie ist der Stanislavski des 21. Jahrhunderts. Sie ist der klügste Mensch, den ich je getroffen habe. Sie hat genauso wie Stanislavski eine Synthese aus allen bisherigen Schauspieltechniken erschaffen und mit ihrer „Objective“ dem Schauspiel eine neue Dimension gegeben. Denn in unserer heutigen, von der durch vom Menschen verursachte Katastrophen bestimmten Zeit, geht es nicht mehr darum, Gefühle darzustellen, sondern darum, zu handeln. Ich zweifelte lange an ihrer Technik – mir als Pazifist kam sie doch sehr aggressiv vor. Ihre militantes Vokabular „siegen“ zu wollen, nein, siegen zu müssen, sowie das Motto ihrer Technik „to get my power back“ haben mich anfangs irritiert. Aber Aggression“ und „Aggressivität“ sind zwei unterschiedliche Dinge: Aggression ist destruktiv oder autodestruktiv. Aggressivität dagegen ist eine energiegeladene Dynamik, die nur in Ausnahmefällen zu Gewalt führt. Diese Energie „drängt und stösst, sie will etwas erreichen, sie handelt und wirkt, sie lässt nicht locker und nimmt sich, was sie braucht.“ (Varda Hasselmann). Damit ist eine Rolle kein Opfer mehr, sondern tritt aus ihrer Defensive heraus, um vom Gegenüber das zu bekommen, was sie braucht: die Erfüllung ihrer „Objective“. Also bin ich einem Missverständnis aufgesessen, denn die Seele und eine Rolle bewohnen nun einmal den Körper eines Primaten mit all seinen ursprünglichen Instinkten. Und die sind runter gebrochen eben „to fuck“ oder „to kill“. Der überlebensnotwendige, menschliche Egoismus einer Rolle ist also nur aufrichtig und ehrlich. Dekadenter Altruismus ist zumeist eine Lüge, denn er erfüllt ja mit einem möglichst positiven Selbstbild auch nur den Egoismus eines Menschen. „Manipulation“ ist eines der Codewörter der Chubbuck-Technik. Bei uns in Deutschland ist Manipulation verständlicherweise ein böses Wort. Manipulation muss aber nicht Propaganda sein, sondern kann auch eine friedliche Pro-Aktivität bedeuten, die ein Problem löst. Nüchtern betrachtet wären ohne Manipulation die Strassen der westlichen Gesellschaft von Leichen und Verletzten gesäumt wie zu Zeiten der Französischen Revolution. Konflikt per se ist der Treibstoff jeder Geschichte und aller Schauspieler. Aber Konflikt bedeutet nicht nur Krieg – wir können uns alle gemeinsam verändern und eine neue Beziehung zueinander erschaffen. Jetzt habe ich diesen Sachverhalt mal beschönigend ausgedrückt – oder auf „Vanilla“, wie die Amerikaner sagen. Aber diese aktive Problemlösung ist der Grund für Ivana´s ständige Mantras „Go after something! Follow your objective!“ Sie geht sogar so weit zu behaupten, dass Du Dich im Spiel nur noch an die Objective Deiner Rolle halten kannst – wenn Du DeineArbeit („the work“) gemacht hast. Alles andere ergibt sich dann im Spiel wie ein Domino-Effekt. Was ist „the work“? „The work“ ist die Textanalyse in Verbindung mit den eigenen Subtexten der Persönlichkeit des Schauspielers. Textanalyse ist das Studium der Umstände und der Dramaturgie des Drehbuches. Subtexte sind der innere Monolog des Schauspielers zu seiner Personalisierung („Substitution“) für den Spielpartner. Das Studium der Umstände betrifft die Soziologie und die Psychologie der Rolle. Die Substitution bestimmt das spezifische Verhalten des Schauspielers gegenüber der anderen Rolle. Die Psychologie der Rolle deckt ihre Ängste und Widerstände („obsticals“) auf und und und und und… Du siehst, „the work“ ist ein buchstäblich endloser Prozess, der von der Bereitschaft des Schauspielers abhängt, wie tief er gehen möchte und kann, um seiner Rolle möglichst viele Ebenen („layers“) zu geben. Die Qualität von Schauspiel ist von der Anzahl eben dieser Ebenen abhängig. Wenn der Schauspieler seine persönlichen Eigenschaften und Macken nun seiner Rolle noch dazu gibt, dann ist er einzigartig und „unique“. „That´s empowerment to me!“ sagte Ivana und bringt damit ihre gesamte Lehre auf den Punkt. In der Praxis bedeutet die Chubbuck-Technik Textanalyse und proben, proben, proben. Für jede Szenenarbeit, die im Studio maximal zweimal gezeigt wird, erwartet Ivana 6 Stunden Probezeit. Mindestens. Und dann beginnt ihre Arbeit – oder „Magic Time!“ wie die herzerwärmende Klassenbetreuerin („monitor“) Patti zu Beginn einer Szene immer sagt. Ivana besitzt eine äusserst präzise Beobachtungsgabe, mit der sich ihr Zusammenhänge und Einsichten offenbaren, die andere übersehen würden. Sie sieht, hört und spürt alles. Ihr entgeht nicht das kleinste Detail. Sie kann gleichzeitig beobachten und auswerten und bringt dann zum Ausdruck, was die Schauspieler für ihre Rollen erforschen, erfühlen und erkämpfen müssen. Ihre Szenenkritik ist möglichst neutral, nie persönlich verletzend und nur auf die Arbeit des Schauspielers bezogen. In drei Monaten habe ich nur einmal erlebt, dass Ivana harsch wurde und einer Schauspielerin den Mund verbot, da sich diese mit ihrer Selbst-Defensive um jeden Fortschritt und jede Erkenntnis brachte. Mit ihrer messerscharfen Analyse bringt Ivana die Realität mit ihrem Wissen in Einklang und bewirkt somit so viel Gutes und Hilfreiches für Schauspieler – wenn diese denn damit umgehen können. Bei der Arbeit sind Ivanas Wahrnehmungskanäle derart weit geöffnet, dass sie sich abgrenzen muss und strikte Disziplin in ihren Klassen herrscht. Die Schule und ihr ganzes System sind eine straff organisierte Gesellschaft, in der Regeln und Verbote gelten. Als internationale Autorität und Spitze ihres Systems ist sie weltweit bis ins Detail über alles informiert. Ivana ist stets misstrauisch und hat die Tendenz zur Überwachung. Nein, die Chubbuck-Community ist nicht Scientology. Die Chubbuck- Family ist eine internationale Gruppe Gleichgesinnter, die Ivana die Unterstützung und den Respekt zollen, den sie verdient. Aber Ivanas Inneres muss aussehen wie der Überwachungsraum eines Atomkraftwerkes. Es ist eh unglaublich, dass sie fast bis zur Selbstaufgabe coacht und unterrichtet. Als Einzelkämpferin im Dschungel Hollywoods hat sie sicher schon die Pferde kotzen sehen. Mit ihren jahrzehntelangen Einsichten aus der unmittelbaren Arbeit und dem Kampf in ihrem eigenen Leben ist Ivana eine Bereicherung für diese Welt. Damit ist ihr auch jedes Knurren verziehen. Denn ja, manchmal kann sie der „tasmanische Teufel“ sein, wie sie hinter vorgehaltener Hand genannt wird. Ihre fundamentale Kritik kann einen Schauspieler wie ein Tsunami hinwegfegen. Aber das macht sie nur mit Schauspielern, die das aushalten können und deren Potential sie erkennt. Sie braucht den Widerhall eines Schülers. Sie arbeitet mit dessen Reaktionen und den dunklen Seiten seines Lebens. Das freie Schreiben („automatic writing“) ist für das „emotional diary“ eines ihrer Standardinstrumente geworden: „Freies Schreiben wurde traditionell als Vorschreibtechnik in akademischen Umgebungen angesehen, in denen eine Person über einen festgelegten Zeitraum ununterbrochen schreibt, ohne sich um rethorische Bedenken oder Konventionen und Mechaniken zu kümmern“ (Wikipedia). Damit zapft sie das Unterbewusstsein des Schauspielers an, um Blockaden aufzulösen und auf ein tiefere Ebene der Arbeit zu gelangen. Überhaupt ist das Schreiben Ivanas Lieblingsmedium – sie ist Scriptdoctor und inhaltliche Beraterin ganzer Hollywoodproduktionen. Konsequenterweise hat sie an ihrer Schule auch einen Screenwriting-Workshop eingerichtet, der mir Folgendes bewiesen hat: Das Problem in Deutschland sind nicht wir Schauspieler, sondern die anachronistisch schlechten Drehbücher. So intellektuell sich Ivanas Analyse-Fähigkeiten anhören, so sehr ist sie ein Instinktmensch. Ihr Instinkt ist ihre Intuition und ihre Intuition eine Inspiration füralle Schauspieler. So sind auch die Dozenten an ihrer Schule eine Hand voll Coaches, von denen jeder Einzelne bei uns ein Star wäre. Am ungetrübtesten vermittelt Michael Monks ihre Technik, mit dem sie schon seit 25 Jahren zusammenarbeitet. Michael ist ein sehr gut beschäftigter Film- und Fernsehschauspieler in Hollywood. „The studio is just a place to get bettter – nothing else!“ Das Schauspielschulsystem in Amerika ist völlig anders als in Deutschland: Alle Studios sind privat organisiert. Dort geht man nicht hin, um sich zu beweisen, dass man ein toller Schauspieler ist, sondern als Beweis seines Fleisses, an sich und seinem Handwerk zu arbeiten. Das Studio ist ein Ort, um sich auszuprobieren, zu verbessern und sich ohne Konsequenzen tief fallen lassen zu können. Mit diesem Schutzraum kann man im Drehalltag umso besser und zuverlässiger sein und bewusst die unterschiedlichen Register ziehen. Jeder Schauspieler entwickelt im Laufe seiner Karriere seine eigene Methode und sein eigenes System. Jeder Schauspieler sollte für sich selbst herausfinden, wie die Chubbuck- Technik in sein System passt. Mich werden diese drei Monate bis zum nächsten Impuls der Schauspielgeschichte begleiten. Sie waren eine wegweisende Zeit, in der ich so viel gelernt habe. Dafür bin ich Ivana auf ewig dankbar. Und ich werde nie ihr Lächeln beim Abschied vergessen.Denn ja, sie kann auch lächeln – from the bottom of her heart.
Wie komme ich aus meinem Kopf raus?
„You are totally in the head“ sagte mir Juliette Binoche einmal als Feedback in der Master Class von Susan Batson, als ich einen Private Moment von Caleb Trask/James Dean in „East of Eden“ spielen sollte. Und sie hatte Recht. Mein Kopf war voller halbgarer Ideen, voll mit Informationen, die mir nichts brachten, voll mit Vorstellungen, wie die Szene aussehen sollte, auf dass „Magic“ passiere.
Das war natürlich völlig falsch. Wir reden hier nicht über Nervosität – die wird ein Leben lang auf die eine oder andere Weise bleiben. Wir sprechen hier von „kopfig“ oder „verkopft sein“. Wenn man vor lauter Gedanken, Erwartungen und Druck, vor lauter politischer Korrektheit und Perfektionsanspruch nicht in die Rolle und ins Spiel kommt. Wenn man nicht frei ist. Wenn man grossartig sein will, wenn man einen Richter im Kopf hat, der einem immer sagt „Du bist schlecht.“ Wenn man sich nur scheisse und wertlos fühlt. Wenn man Angst hat, zu versagen. Wenn einem nur die eigenen Defizite bewusst werden und denkt, „Du bist nicht gut genug.“ Um es abzukürzen: Wer „im Kopf“ ist, hat seine Arbeit nicht gemacht. So einfach ist das. Es geht nicht um Dich, es geht um die Rolle. Die schauspielerische Vorarbeit ist wie Sport machen: Wir finden tausend Ausreden, nicht zum Sport zu gehen. Aber wenn wir dann trainieren, fühlen wir uns gut. So ist es auch mit der Rollenarbeit: Fang einfach an!! Irgendwo, mit irgendwas. Was macht Dir am meisten Spass an der Szene und an der Rolle? Und wenn Du diesen Haken erwischt hast, dann geht die Arbeit erst richtig los. Es gibt ja viele verschiedene Herangehensweisen und Methoden, sich eine Rolle zu erschliessen und frei spielen zu können. Du bist ein freier Künstler und darfst und musst Dir nehmen, was Dir am meisten hilft. Es ist egal, welche Methode Du für Dich nutzen willst, es ist nur wichtig, DASS Du die Arbeit machst! Sei konsequent mit Deiner Methode. Natürlich darfst Du die Methoden mischen und schauen, wo was am besten für Dich funktioniert. Aber fall nicht auf Dich selbst herein, dass Du Dir Ausreden oder andere Techniken suchst, um Dich nicht zu 100% in die Szene zu begeben! Und um den Konflikt der Rolle wirklich in all seiner Tiefe zu begreifen, muss man tiefer graben. Wenn Du diesen Konflikt vollends verstanden hast, dann geht es Dir nicht mehr um Dich als Schauspieler oder was andere über Dich denken, sondern es geht Dir um die Rolle. Mit welcher Methode auch immer Du an Deine Rolle rangehst, alle Methoden eint der erste Schritt:
1. Die Analyse Damit meine ich die Drehbuch-, Rollen- und die Szenenanalyse. Mit unserer deutschen Geschichte nach dem zweiten Weltkrieg war es ja wichtig, dass wir uns als Menschen und Künstler wieder selbst finden. Aber das ist auf Dauer keine Entschuldigung dafür, dass wir Rollen als Therapie oder Selbstdarstellung missbrauchen – das ist nicht Schauspiel, nicht gebend für das Publikum, sondern egoistisch und narzisstisch. Umgekehrt ist es auch keine Schauspielkunst, Rollen flach und zweidimensional abzuhandeln und sich für clever zu halten. Deswegen mein Appell: Rolle first! Und das fängt mit Analyse an. Das Schlüsselwort ist: Recherche! Über das ganze Projekt und wer daran beteiligt ist und dann über das Buch. Wie ist der Ton des Buches? Ist es eine Tragödie, eine Komödie oder melodramatisch? Was ist der Zweck und die Aussage des Buches? Recherchiere das Milieu, in dem die Geschichte stattfindet. Lies Geschichtsbücher, suche im Internet nach Informationen und Dokus, schau Dir ähnliche Spielfilme an. Wer ist unsere Rolle? Wo kommt sie her, was ist ihre Vergangenheit, ihre sozio-ökonomischen Umstände, was ist ihr Ziel, was ist ihr Konflikt? Was sind ihre grössten Defizite, was die grössten Stärken? Ist meine Figur ein Protagonist oder ein Antagonist? Ist sie die Hauptrolle oder eine Nebenrolle und auf welcher Seite steht sie? Was ist ihre Funktion? Wie sieht ihr Alltag aus, wie fühlt sie sich? Du musst die Rolle am allerklarsten von allen am Set vor Augen haben, Du musst wissen, wer dieser Mensch ist! Dafür wirst Du bezahlt.
2. Szenenanalyse Wichtig für einen Schauspieler ist, was VOR der Szene passiert ist. Wo kommt die Rolle her? Dann kannst Du ganz anders in eine Szene einsteigen und auch erst, wenn Du die vorigen Umstände durchgegangen bist und deine Vorarbeit gemacht hast. Was sind die Umstände der Szene? Der Ort? Wie erlebt das Deine Rolle? Wie ist ihr Körpergefühl? Ist ihr kalt, heiss, ist sie betrunken oder krank? Eine Szene ist wie ein Klavierstück – ein Pianist weiss ganz genau, was er wann spielt. Jede Szene ist in fünf dramaturgische Ebenen einteilbar. Teile die Szene für Dich in Beats und Actions ein. Kenne nicht nur Deinen Text, sondern auch den Deines Spielpartners auswendig. Quirle den Text solange, bis er Dein eigener ist. Wenn es überflüssige Wörter gibt, streiche sie. Wisse, wann was kommt. Eine Szene besteht nicht nur aus Text – was macht Deine Rolle? Wörter können lügen, Handlungen nicht. Caster und Kameras lieben es, Schauspieler bei Handlungen oder beim Zuhören zuzusehen. Da sieht man, ob das ein guter Schauspieler ist oder nicht – ob er/sie voll und ganz in ihrer Rolle sind. Wenn Du am Steuer der Szene bist, dann hast Du gar keine Zeit verkopft zu sein.
3. Fülle Deine eigene Geschichte in die Rolle Natürlich gehören Substitutions/Personalisierungen des Spielpartners mittlerweile zum Standard. Eine Personalisierung ist keine magische Pille, aber sie macht Dein Verhalten in der Szene sehr viel konkreter, tiefer und spezifischer. Nimm den Konflikt Deiner Rolle und fülle ihn bewusst mit einem eigenen Konflikt auf – dann bedeutet Dir die Szene auch etwas. Mit dieser Szene kannst Du in der Rolle Deinen eigenen Konflikt lösen. Doch Therapie? Ja und nein. Es ist die Kraft der Fantasie und der Kunst, die uns heilt. Jedes einzelne Wort Deiner Figur soll Bedeutung für Dich haben, mach Deinen Subtext. Wenn Du die Wörter nicht liebst, dann hast Du den falschen Subtext. Wenn Du Deine Wörter mit einer Bedeutung für Dich und Deiner Geschichte aufgefüllt hast, dann vergisst Du den Text auch nicht. Weil er Dir persönlich wichtig ist. Und gleichzeitig darfst Du die Umstände der Szene und die Identität Deiner Rolle nicht vergessen. Es ist ein Balanceakt,wie jonglieren. Und Du bist der Jongleur.
4. Sei im Moment Wenn Du die ganze Recherche und Analyse gemacht hast, wenn Du die Figur mit Deiner Geschichte aufgefüllt und die Subtexte erarbeitet hast, dann vertrau Deinem Instrument, dass es all die Information im Unterbewusstsein gespeichert hat.
Ivana Chubbuck sagt „Let it go“, Meryl Streep nennt es Intuition. Deine emotionale Batterien sind geladen, Deine Subtexte sind tief. Dann haben sich Du und Deine Rolle miteinander verbunden. Wenn Du pupsen musst, muss Deine Rolle pupsen, wenn Deine Rolle küsst, küsst Du. Konzentriere Dich auf Deinen Spielpartner oder im Ecasting auf Deine Personalisierung. Auf sie musst Du reagieren. Schauspiel ist das, was zwischen zwei Schauspielern passiert. Es geht nicht mehr um Dich, sondern was passiert und was ihr miteinander verhandelt. Jede Aktion Deines Spielpartners gibt Dir eine Chance für eine Reaktion. Es heisst Schau-spiel. Es ist ein Spiel wie Tennis – es soll Dir Spass machen. Das „Let it go!“ ist am leichtesten, wenn Du Spass hast. Und wenn Du Spass hast, dann bist Du auf dem richtigen Gleis. Dann bist Du nicht verkopft, sondern dann liebst Du es zu tun, was Deine Rolle tut – wie fürchterlich oder dramatisch das auch sein mag. Denn es ist nur eine Rolle und Du spielst. Das ist Schauspiel, das ist Spass und Deine Hirngespinste interessieren keinen Menschen. Nicht mal mehr Dich selbst.
„Niemals einen Schwulen für eine schwule Rolle besetzen“
Artikel von Matthias Beier über die Diskriminierung schwuler Schauspieler im SCHAUSPIEGEL Winter 19/20, dem Magazin des bffs – Bundersverband für Schauspiel Ich schreibe hier über das Thema Gleichberechtigung für Schauspieler – allerdings nicht für Gleichberechtigung von heterosexuellen Frauen, sondern für homosexuelle Schauspieler.
Da ich ein Mann bin und selbst eine homosexuelle Orientierung habe, schreibe ich hier über schwule Schauspieler. Es ist eine Tatsache, dass schwule Schauspieler eine diskriminierte Minderheit sind. Diese Diskriminierung war einer der Gründe, warum ich mich in den Nuller Jahren als Schauspieler zurückgezogen habe. Ich möchte gerne untersuchen, wie es zu dieser Diskriminierung schwuler Schauspieler kam und wie sie verhindert werden kann. Film und vor allem Fernsehen bilden die Gesellschaft ab. Deshalb frage ich mich, in was für einer Gesellschaft wir in Deutschland leben. Denn diese Gesellschaft ist unser Publikum. Da ich optimistisch bin, würde ich ich behaupten, dass wir in einer positivdynamischen Zeit des Übergangs vom Patriarchat ins Matriarchat leben. Noch haben wir nicht die völlige Gleichstellung von Mann und Frau erreicht, aber trotz reaktionärer politischer und ethnischer Kräfte glaube ich, dass dieser Wandel nicht aufzuhalten ist. Aber egal ob Patriarchat, Matriarchat oder Gleichberechtigung – wir leben in einer heteronormativen Gesellschaft. Das heisst, Heterosexualität gilt als die soziale Norm und Homosexualität wird zwar weitgehend geduldet, aber eben nicht vollends für gut befunden. Warum ist das so? Unsere westlichen Werte basieren auf dem Christentum. Im Alten Testament ist Homosexualität ein Sünde und dafür stand die Todesstrafe. Wie gesagt, wir befinden uns in einer Zeit des Wandels und der macht selbst vor den Kirchen nicht halt: Papst Franziskus entschuldigte sich für die Diskriminierung Homosexueller, die evangelische Kirche spricht ihre liberale Haltung und Segnung gleichgeschlechtlicher Paare aus. Aber der Stachel der jahrtausendelangen Stigmatisierung sitzt tief im allgemeinen Unterbewusstsein. Das nenne ich Homophobie. Noch 2017 stimmten Angela Merkel und Annegret Kamp-Karrenbauer gegen die „Ehe für alle“ unter Berufung auf das christliche „C“ der CDU. Die Abgeordneten der SPD, Linken und Bündnis 90/Die Grünen stimmten geschlossen dafür. Die Homophobie steckt also unbewusst oder sogar bewusst immer noch tief in unserer Gesellschaft – unserem Publikum. Deswegen verstehe ich zwar die Entscheidungen von Castern, Regisseuren, Redakteuren, Produzenten und auch Kollegen, aber ich respektiere sie nicht. Das grundsätzliche Mißtrauen und die damit verbundenen Vorurteile der Menschen in unserer Branche sind die eine Sache. Das Absprechen der Eignung offen schwuler Schauspieler für heterosexuelle Rollen ist aber eine ganz andere: Erstens unterschätzen vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Zuschauer – kein Wunder, dass die Jugend zu Streamingdiensten abwandert. Bei Netflix und Amazon spielt die private sexuelle Orientierung auch junger Schauspieler keine Rolle. Und haben die Öffentlich-Rechtlichen keinen Bildungsauftrag? Und zwar nicht mit klischeehaften schwulen Rollen, sondern mit offen schwulen Schauspielern in heterosexuellen Rollen? Zweitens ruft mich die Unkenntnis der Kunst des Schauspiels innerhalb der Branche als Coach auf die Barrikaden: Spätestens seit der Einführung des Handwerks der „sexual chemistry“ durch die internationale Schauspiel-Koryphäe Ivana Chubbuck kann ein guter Schauspieler eine Liebesszene mit einer Mülltonne spielen! Die Frage ist also nicht die sexuelle Orientierung eines Schauspielers, sondern ob er ein guter Schauspieler ist. Ergo sind die ungeouteten, schwulen Schauspieler verdammt gute Schauspieler. Warum trauen sich diese verdammt guten Schauspieler nicht, sich zu outen? Es wird ihnen wegen der Fans, der Quote, dem Ticketverkauf abgeraten – also letztlich für den Profit der Branche. Diese Fahrt auf Sicht ist allerdings wenig visionär: Die jungen Leute von heute, also das Publikum von morgen, sind mit dem Internet aufgewachsen und wissen besser mit Homosexualität umzugehen als ihre Eltern. Ich habe als schwuler Junge auch für Schauspielerinnen geschwärmt – einfach, weil sie gut waren und toll aussahen. Warum sollte das heterosexuellen Teenie-Mädchen mit schwulen Schauspielern anders gehen? Ich fordere die Film- und Fernsehmacher dazu auf, ihr Publikum ernster zu nehmen! Außerdem wird die Kraft der Kunst völlig unterschätzt. Und Schauspieler unterschätzen diese Macht. Egal, ob schwul oder nicht-schwul: Schauspieler lösen in ihren Rollen gesellschaftliche Konflikte als „Rollenbilder“ auf. Als öffentliche Person schenken sie den Menschen Bewusst-Sein und sind ein Vorbild dafür, wie man ein Leben leben kann. Und das verfolgen 10, 100, 1000, 100 000, 1 000 000 Menschen. Schauspieler sind eine Projektionsfläche und Vorbild zugleich. Als schwuler Künstler kann man diese Möglichkeit für die Infragestellung der gesellschaftlichen Verhältnisse oder für die Aufklärung nutzen, liebe Kollegen! Als schauspielernder Geschäftsmann sicher nicht. Baut doch Eure Häuser und fahrt Porsche – das wird Euch nicht glücklicher machen. Wir Schwulen sind eine nicht reproduktive Gruppe der Bevölkerung. Die vedischen Sanskrift-Schriften weisen dieser Bevölkerungsgruppe besondere Aufgaben zu – ihnen wurde grundlegende Nähe zu künstlerischen und spirituellen Tätigkeiten nachgesagt. Sie waren Gäste in Höfen und Palästen und wurden zur Unterhaltung oder für Lehrtätigkeiten eingestellt. Ist das nicht, was Schauspieler ausmacht? Vielleicht sollten wir ein bisschen über das Christentum hinaus schauen: Die vedische Kultur bestand ausdrücklich auf das Vorhandensein von Nicht-Heterosexualität. Das traditionelle indische Recht verurteilt bis heute noch Ehebruch bei Heterosexuellen wesentlich strenger als sexuelle Vergehen unter Homosexuellen. Da zitiere ich gerne meinen englischen Coach-Kollegen Giles Foreman in Bezug auf heterosexuelle, männliche Schauspieler: „I pitty them, because they have less fun!“ Oder sinngemäß mit den Worten des tibetischen Meditationslehrers Chögyam Trungpa zum Thema Homosexualität: „Es geht zwischen Menschen nicht um die Form ihres Körpers, sondern um die Form ihrer Beziehung.“ Oder – weil wir ja Deutsche sind – mit Schiller: „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Wie auch immer: Wäre Homosexualität kein Tabu mehr, wäre die Welt friedlicher und glücklicher. Was können wir konkret gegen die Diskriminierung tun? Ich möchte uns Schwule nicht zu Opfern machen und um öffentliche geleitete Inklusion bitten. Aber ich rufe jeden Einzelnen auf, sehr bewusste Entscheidungen zu treffen. Mir hat mal ein prominenter Klient gesagt, dass er schwulen Kollegen nicht empfehlen würde, sich zwischen 20 und 40 zu outen. Er hat Recht und er hat Unrecht. Recht hat er, weil es sicher einfacher ist, mit dem Strom zu schwimmen. Unrecht hat er, denn welchen Wert hat materieller Erfolg, wenn ich dabei als Künstler meine Authentizität verkaufe? Ich weiss noch, dass ich, als ich eine durchgehende schwule Serienrolle gespielt habe, in einem Interview auf die Frage, ob ich selber schwul sei, gelogen habe. Das bereue ich bis heute. Nicht, weil ich mich nicht in der Produktion geoutet habe – im Gegenteil: Mein schwuler Spielpartner war das Gegenteil meines Beuteschemas und es wäre mir leichter gefallen, eine Frau zu küssen. Sondern weil ich in dem Interview einfach hätte sagen sollen. „Darüber möchte ich nicht sprechen.“ Das ist das Recht eines jeden Schauspielers, nicht über sein Privatleben zu sprechen. Lustigerweise sagte mir der sehr etablierte und übrigens ebenfalls homosexuelle Caster der mich für diese schwule Rolle vorschlug, er „würde niemals einen Schwulen für eine schwule Rolle besetzen“. Nun, da hat er sich wohl selbst widersprochen. Ich bereue meine Lüge, weil ich Grenzen hätte setzen können, weil ich ehrlich zu mir selbst gestanden wäre, weil ich noch mehr jungen schwulen Männern und vor allem Kollegen ein Vorbild hätte sein können und weil ich gegen Diskriminierung gehandelt hätte. Und noch aus einem weiteren Grund hatte mein prominenter Klient Recht: Schauspieler müssen bezüglich aller Geschlechterrollen versatil sein. Ich erinnere an die Mülltonne. Wenn ein heterosexueller Mann keine Beziehung zu einem Mann spielen kann oder ein schwuler Schauspieler keine Beziehung zu einer Frau – dann sind sie einfach schlechte Schauspieler! In der Aussenwirkung muss ein Schauspieler immer zugänglich wirken – für Männer wie für Frauen. Was er privat für Vorlieben hat, ist seine Sache. Und ob er darüber sprechen will erst recht. Nun ist die Aussenwirkung ja mehr oder weniger intelligent steuerbar. Branchenintern ist das komplizierter: Während uns entsprechende Caster, Regisseure, Redakteure und Produzenten – egal was sie zu uns sagen – immer hinter vorgehaltener Hand diskreditieren oder diskriminieren können, passiert das am Set oder auf der Probebühne unmittelbar und unvermittelt. Es kann uns egal sein, was über uns gesprochen wird, denn was zählt, ist die Wirkung beim Publikum. Nicht egal darf uns allerdings jegliche Diskriminierung unter Kollegen sein – und sei sie noch so flapsig oder unterschwellig. Die müssen wir benennen, verurteilen und unterbinden. Auch wenn sie uns dann als Spaßbremsen bezeichnen, Diskriminierung ist ein Ausdruck von Macht und von Machtmissbrauch. Daher gilt die Regel: Nur Minderheiten dürfen Witze über ihre Minderheit machen. Ich schliesse mit dem Thema „bewusste Entscheidungen“ zum Outing oder nicht: In den Nuller-Jahren habe ich noch keinem gewünscht, der erste Lemming zu sein. Heute ist das anders, das Rad der Zeit dreht sich nach vorne. Aber wir wissen alle aus den Geschichtsbüchern, dass sich das Rad auch zurück drehen kann. Deswegen müssen wir es am Laufen halten. Jeder Einzelne von uns auf seine Art. Ich wage es vorauszusagen: Der nächste prominente junge schwule Schauspieler zwischen 20 und 40, der sich outet, wird deutsche Filmgeschichte – wenn er sehr gut ist.
Schauspiel und Spiritualität „Individualisierung des Göttlichen“: In seiner Arbeit sieht Schauspiel-Coach Matthias Beier die Seele des Schauspielers als Instrument. Von Christina Raftery
Pass auf, denn wenn du Gott rufst, denn dann kommt er.
(Matthias Beier)
Matthias, in der Schauspieltechnik scheint es auf den ersten Blick vor allem um eine besondere Spannung zu gehen: Die zwischen dem „Eigenen“ und dem „Fremden“. Na es geht um Geschichten – unsere eigenen und die, die wir versuchen, uns für das Drehbuch anzueignen. Da sind viele Schichten von Identität im Spiel, derer wir uns bewusst werden müssen. Welche Geschichte wird mit der Rolle erzählt, welche Geschichten haben uns persönlich geprägt? Was macht uns aus, welche eigenen Themen müssen wir klären und auflösen, welche lassen wir so stehen und benutzen sie für die Schauspielarbeit? Ähnlich wie im historisch-gesellschaftlichen Sinn können wir meiner Meinung nach nur zu unserer Größe finden, wenn wir unsere eigene Identität erforschen und letztlich annehmen. Es geht beim Spielen also nicht darum, das Eigene auszulöschen, um etwas anderes anzunehmen? Nein. Bei der künstlerischen und spirituellen Arbeit interessiert uns das, woraus wir zusammen gesetzt sind und worauf wir alles andere aufbauen können. Auf diesem Weg grenzen wir uns vom Äußeren ab, um uns auf das Essentielle konzentrieren zu können. Es wäre fatal, das Eigene zu vergessen, denn wir stecken ja in einer Existenz, die unser Instrument ist. Welche Bedeutung hat das dieses Eigene, unsere Identität, das Authentische für die Rolle? Ein Schauspieler muss zunächst sein Instrument, seinen Geist und seinen Körper, kennen lernen. Viele haben ein Problem damit, finden diese Anamnese nicht wichtig genug. Sie wollen dann meist unbewusst über andere Rollen zu sich selbst finden – eine andere Identität als Flucht vor sich selbst. Ivana Chubbuck formulierte diese Motivation so: „Schauspieler werden, um ein anderer Mensch zu sein“. Anstatt dass sie gleich bei sich selbst anfangen! Aber es besteht tatsächlich auch eine Chance darin, über andere Rollen zu sich selbst zu finden und diese Erkenntnisse bewusst für die Rolle einzusetzen. Ich halte das für einen Umweg, aber manche brauchen ja Umwege. Für den Beruf ist Handwerk wichtig, eine Ausbildung, die eigene Biografie, aber – für mich am wichtigsten – unser Sein als Mittel, mit dem wir unsere Seele über die Rolle ultimativ ausdrücken können. Was versteht du genau unter „Seele“? Wir sind alle eins und Teil eines großen Ganzen. Atman und Brahman, die unzertrennliche Einheit. In unserer Existenz manifestiert sich die Seele als reale Schöpfung – nicht zu verwechseln mit Gott. Denn die Seele kann gleichzeitig Identität und Maske sein. Legst du dein Coaching genauso an? Ist die seelische Essenz das Ziel? Ich lege die Coachings gar nicht an, ich rede erstmal mit den Klienten. Für meine Arbeit analysiere ich bei jedem Klienten den Archetypen und finde ihre Verhaltens-Parameter heraus. Dann verfahre ich frei nach Goethe: „Man soll das Leben an jedem Zipfel packen, der sich bietet“. Ich schaue bei Schauspielern darauf, welche Pforte sie mir anbieten, durch die ich Zugang zu ihrem Bewusstsein ihres inneren, größeren Selbst finden kann. Über unsere Arbeit versuche ich damit in Kontakt zu treten und hoffe, ihr Interesse an weiterer Selbsterforschung zu wecken. Wenn wir dann bei dem Thema „Seele“ angelangt sind, sind wir schon ziemlich weit. Ihr Bewusstsein über ihre seelische Essenz ist definitiv mein Ziel, ja. In diesem Prozess kann ja auch einiges passieren, ähnlich wie in Therapie oder spiritueller Unterweisung. Klar, aber als Coach „therapiere“ und „unterweise“ ich nicht. Ich lade nur zu eigener Führung und Selbstverantwortung ein und passe auf, dass sich niemand in einer Sackgasse verrennt. Wenn ein Schauspieler bereit ist, diesen Weg zu gehen, wird sein Durst nach mehr Bewusstsein und dessen Manifestierung groß und es wird sich Wege dafür schaffen. Wie geht es dann weiter? Geht man eventuell unbefangener an die Rolle heran? Die Rolle kann man sich durchaus auch durch Reissbrettarbeit, eine kognitiv-intellektuelle Herangehensweise oder durch Proben erschließen. Viel interessanter ist aber der Kontakt mit dem größeren Selbst. Dann klären sich alle Fragen von selbst, auch dadurch, dass man sich selbst gegenüber gleichmütiger wird. Man nimmt sein Ego nicht mehr so wichtig und kann durch gestärkte Intuition über die reine Textanalyse hinaus gehen. „I just feel it“, sagt Oscar-Preisträgerin Olivia Colman über ihre Annäherung an die Rollen. Sie überzeugt damit, aber „sich einfach reinspüren“ kann auch abgedroschen klingen.
Olivia Colman glaube ich, dass sie es „einfach spürt“ – wie auch immer sie dort hin kommt. Ich habe diesen abgedroschenen Satz aber auch schon oft als missverstandenes Method- Acting“ erlebt, als eine Art Schutzschild um sich versperren. Mit dem „Ich fühle es einfach“ wollen sich viele Schauspieler am Set unangreifbar, nicht fassbar machen. Da spricht ihr Ego. Damit treten schlechte Schauspieler emotional fast diktatorisch auf, weil sie vielleicht überhaupt nichts spüren oder so viel, dass sie keinen Durchblick mehr haben. Susan Batson stellt bei einer Szenenarbeit die Frage: „Wann habe ich mich in meinem Leben genau so gefühlt?“ Dann substituiere der Schauspieler seine eigene Erfahrung mit der der Figur, quasi als Stellvertreter. Auf Basis dieser Vorarbeit glaube ich auch an die Intuition von Schauspielern.
Eine direkt intuitivere, fast transzendente Methode ist meine Avatar-Technik. Sie besteht im „impersonating“, einer virtuellen Figur auf Basis der emotional-analytischen Verbindung mit der Rolle. Meryl Streep sagte: „Wenn du alles über die Figur weißt, kommt die Intuition“. An diesem Wissen über die Figur arbeite ich mit meinen Klienten. Die Rolle als Rahmen für eigene innere Arbeit? Mit Sicherheit, aber das ist nicht das Ziel meiner Arbeit, sondern eher ein Nebeneffekt. Ich sehe das ganz pragmatisch: Ich unterstütze dabei, Text richtig zu lernen, entspannt das Ego aufzugeben, dann heimlich zu beten und Gott um Unterstützung zu bitten, dich an das Höhere heran zu führen. Das Ganze umspannt mit einem Sicherheitsnetz des kognitiven Lernens, Trainings und der gemeinsamen Vorarbeit. Dabei sind mein Klient und ich uns klar: Das ist keine Therapie, sondern ein Job. Empfiehlst du deinen Klienten zu meditieren? Absolut. Ich empfehle die TM – Transzendentale Meditation. Nicole Kidman und David Lynch machen das auch. Ich selbst habe dadurch gute Erfahrungen gemacht, mit Brahman in Kontakt zu treten. Viele erfahren Transzendenz über Grenzsituationen des Lebens. Meditation ist ein ein viel friedlicherer und weniger dramatischer Weg dorthin. Eckart Tolle hat das für mich am besten beschrieben: „Die meisten Menschen sind geisteskrank“, also zu stark im Ego. Zwar macht es uns unverwechselbar und bewährt sich jeden Tag als Kontrollzentrum im Hirn, als Cockpit im Jet. Aber das Cockpit ist nicht der Jet. Es lohnt sich, das Ego zu reduzieren – aber keinesfalls zu zerstören. Sobald du es als Ego erkennst, weist du es automatisch in seine Schranken. Ehre das Cockpit! Ehre das Ego! Aber lehre es auch, mal die Schnauze zu halten. Unser Kern ist Gott, dann gibt es viele Schichten dazwischen, wie die Gesteinsschichten der Erde. Unsere Entscheidung ist: aus welcher Schicht heraus wollen wir interagieren und spielen? Künstlern wird ihr Ego gerne verziehen. Das Publikum will ja meist keine Augenhöhe, sondern eine beeindruckende Performance. (lacht) Dann sollen sie in den Zirkus gehen oder sich Germany´s Next Top Model anschauen! Ich verzeihe Egos im Alltag, aber nicht in der Kunst. Denn ich sehe Schauspiel als eine Kunstform, bei der ich als Zuschauer emotional berührt und in eine Geschichte reingezogen werde und zumindest unbewusst sozial-psychologische Erkenntnisse erlange. Wie bei jeder Kunst möchte ich als Betrachter etwas lernen, mein Bewusstsein erweitern oder vertiefen. Und Schauspiel ist Kunst – auch wenn es genauso wie etwa Malerei oder Musik auch dekorative oder unterhaltende Zwecke hat. Schau Dir doch mal einen Picasso oder einen Wagner an – die hatten sicher grosse Egos, aber nicht in der Arbeit in der Kunst. Das ist auch der Unterschied zwischen Schauspiel und egomanischer Selbstdarstellung. Stellen diese Künstler sich selbst oder etwas anderes, grösseres dar? Man kann sich an allen Begriffen abarbeiten und Esoterik hin oder her: mir hat es geholfen, mich auf der Bühne oder vor der Kamera als ein Medium zu sehen. Denn alles, was wir als Künstler sind, ist ein Beobachter des Lebens – nicht mehr und nicht weniger. Wenn wir uns als Medien bereit stellen, spiegeln wir das Leben wieder – als die Individualisierung des Göttlichen. Wir halten unseren Geist und Körper als Instrument einsatzbereit und zeigen mit unserer Seele etwas, das andere miterleben können. Wir lassen Gott durch uns sprechen, denn das Universum will das Universum sehen. Bist du als Schauspielcoach eine Art Guru? Ein Guru ist für mich nichts Besonderes. Er oder sie hat vielleicht mehr und andere Erfahrungen gemacht und ist dadurch bewusster. Ich selbst sehe mich überhaupt nicht als Guru. Gott hat mir viel genommen, damit ich mich nur auf das konzentrieren kann, was ich wirklich brauche. Sehr wichtig war für mich meine Frage an meine Kollegen Juliette Binoche und Susan Batson, ob sie Spiritualität nicht auch als eine wichtige Säule im Schauspiel sehen – und als sie das bejaht haben und sagten, dass sie miteinander genauso arbeiten und meinen Mut bewundern, das öffentlich zu machen, fühlte ich mich bestärkt. Ich will einfach einen Raum und ein Bewusstsein schaffen, in denen sich die Seele meiner Klienten entfalten kann. Ich starte mit ihrer public persona, also wie sie sich selbst sehen wollen, erreiche im Arbeitsprozess hoffentlich eine persönlich-seelische Ebene und ziele von dort aus auf ein universelles Ideal – über das wichtige Ego hinaus zur besten Form des Mediums und der Professionalität. Dann kann die Seele strahlen.
Wie werde ich authentisch?
„Sei einfach Du selbst“ ist der beste und dümmste Tipp, den man dazu bekommen kann. Denn ja, natürlich wäre es wünschenswert, einfach man selbst in den gegebenen Umständen der Szene sein zu können. Nur sind am Set ungefähr 20 Leute um einen rum, die man nicht kennt, und die einem zuschauen! Wie soll man da ungeschützt man selbst und authentisch sein? Deshalb muss man sich selber austricksen, um glaubwürdig zu sein. Denn man muss sich ja einerseits den natürlichen Selbstschutz am Set bewahren und andererseits persönliche Geheimnisse vor der Kamera preisgeben. Klar kann man alles „perfekt“ machen. Aber das perfekte Bild, das Du gerne von Dir hättest, interessiert keine Sau und berührt niemanden. Als Schauspieler muss man den Mut haben, sich auch in unpässlichen Momenten zu zeigen. In emotionalen Zuständen, die privat niemand anderes sehen dürfte. Susan Batson nennt das den „Private Moment“ – der Moment, der selbst dem Zuschauer peinlich ist, weil er so ehrlich und intim ist. Es geht um die Authentizität der Figur im alltäglichen Leben – so wie Du privat unter Kollegen, Freunden oder mit der Familie wärst. Nur dass am Set eben die 20 Leute dabei sind und es danach vielleicht Millionen sehen. Auf Knopfdruck authentisch zu sein, ohne generisch zu werden, ist nicht einfach. Die Rolle schützt Dich und Deine Wahrheit. Nur muss eben auch die Rolle authentisch sein, damit sie als Schutzschild funktioniert. Und um das zu erreichen, kenne ich eigentlich nur 3 Möglichkeiten:
Wie werde ich erfolgreich?
Mit dieser Frage kommen viele Schauspieler zu mir. Ich gebe die Frage dann immer zurück: Was ist Erfolg für Dich? Da kommen die meisten schon in Verlegenheit. Erfolg ist für jeden etwas anderes. Ich weiss, was für mich Erfolg ist, aber es geht ja um DEINEN Erfolg. Also nochmal: Was ist Erfolg für DICH? Damit wäre die Kolumne eigentlich beendet. Denn ab jetzt müsste ich mit Dir sprechen. Erfolg ist hochindividuell und extrem relativ. Erfolg ist das Erreichen selbst gesteckter Ziele. Ich frage Dich: „Was sind Deine Ziele?“ und Du fragst mich: „Wie komm ich dort hin?“ Nun, viele Wege führen nach Rom – der eine Weg kann für Dich goldrichtig, für den anderen aber absolut kontraproduktiv sein. Ich kann hier also kein allgemein gültiges Erfolgsrezept geben. Mir ist aber aufgefallen, dass alle meine prominenten Freunde oder Klienten mehr oder weniger bewusst durch 5 verschiedene Schritte zu dem geworden sind, was sie heute sind. Das sind folgende:
Schritt 1: Werde Dir erstmal klar darüber, was für Dich Erfolg ist. Ab wann würdest Du Dich selbst als erfolgreich bezeichnen? Der Satz „Ich will so sein wie“ bringt Dir nichts – Du hast ja völlig andere Voraussetzungen als Dein Vorbild. Checke ab, was Deine Möglichkeiten sind und welchen Einsatz Du für diesen Erfolg leisten kannst. Wofür steht Dein Vorbild? Wer auch immer Dein Vorbild ist – es steht für Authentizität.
Das bringt uns zu Schritt 2: „Wer bin ich?“ Trau Dich doch mal, Dir ein Fremdbild einzuholen. Dafür ist ein Mentor da. Das ist ein Mensch, der Dein Potential sieht und Dich darin unterstützt. Aber bitte ohne emotionale oder sexuelle Abhängigkeiten! Für Nicole Kidman war diese Mentorin Susan Batson, für James Dean war das Elia Kazan. In Ihrer Zusammenarbeit haben sie es geschafft, Ihre Kunst so einzigartig werden zu lassen, dass sie heute legendär sind. Du kannst mit einem Mentor ungeahnte Potentiale entdecken, derer Du Dir bisher gar nicht bewusst warst. Erkenne und schätze Deine Stärken und Schwächen. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Dein Selbst-Bewusstsein. Das macht Dich einzigartig. Und wer einzigartig ist, ist nicht so leicht austauschbar. Gleiche dieses Potential mit Deiner eigenen Wahrnehmung ab und frage Dich, ob Du willens bist, es auszufüllen.
Schritt 3: Bring Dein Potential auf den Punkt: Warum machst Du das? Warum bist Du Schauspieler geworden? Für wen machst Du das? Ich hoffe, Du machst es für Dich! Welche Fähigkeiten und welchen Konflikt willst Du in all Deinen Rollen zeigen? Das ist Dein Leitmotiv, Dein Motto. Das ist Deine Identität, Deine public persona. Es macht Dein Berufsleben so viel einfacher, immer aus dieser Identität heraus zu handeln. Und je näher diese Identität an Dir dran ist, umso leichter wird sie Dir fallen. Schauspieler sollen mit ihrer Präsenz berühren – welches Gefühl willst Du anderen Menschen geben? Ja, das ist anstrengend, aber Schauspieler sein ist eben auch ein Beruf! Diese Identität stärkt Dich und wenn Du sie nicht mehr aufrecht erhalten kannst, zieh Dich zurück. Das gibt Dir auch den Mut, im richtigen Moment nein sagen zu können: „Nein, das passt nicht zu mir.“ Auf lange Sicht zahlt sich das aus.
Schritt 4: Zeige Dich in deiner Arbeit. Mit „Dich in Deiner Arbeit zeigen“ meine ich nicht auf Parties oder Empfänge zu gehen. Ich habe mein Leben lang noch keinen Job auf einer Party bekommen, das ist völlig überbewertet. Ich meine Dein Demoband, Deine Fotos, wenn Du Theater spielst, wenn Du Ausstrahlungen oder Interviews hast, wenn Du auf professionellen Terminen oder auf der Premierenparty Deines eigenen Films bist. Dein Material musst Du jährlich auf aktuellem Stand halten. Frage Dich bei Deinem Material: „Wen will ich erreichen?“. Das ist Dein Schaufenster. Das ist nicht für Dich, sondern für Deine Kunden, die Deine Dienstleistung in Anspruch nehmen sollen. Und dann gibt es noch die sozialen Medien. Ja, Instagram und Facebook sind wichtig. Jeder nicht all zu alte Mensch, der sich für Dich interessiert, wird sich dort Dein Profil ansehen. Nutzt Du das beruflich oder privat? Natürlich muss das jeder für sich selbst entscheiden. Aber nur der systematische Einsatz von sozialen Medien unterstützt Deinen Erfolg. Das heisst, dass Du Dich entweder privat oder nur mit, in, während und rund um Deine Arbeit zeigst. Wer nicht arbeitet, der postet lieber nichts! Wenn private und professionelle Eindrücke vermischt werden, dann bist Du ein Zwitter und wirkst wenig glaubwürdig. Models und Influencer zeigen sich ausschließlich in ihrer Arbeit – auch wenn das „privat“ aussieht. Meines Wissens nach wurde noch nie ein Schauspieler über Instagram besetzt – und bekannte Schauspieler haben nur so viele Follower, WEIL sie arbeiten. Also: Nicht wieviel, sondern welche Aufmerksamkeit Du bekommst ist entscheidend.
Schritt 5: Wenn Du diese 4 Schritte mehr oder weniger der Reihe nach für Dich geklärt hast, dann warst Du verdammt fleissig. Dann hast Du Dir verdient, Dich zu entspannen und abzuwarten. Fahr weg, fahr in Urlaub, kümmere Dich um Deine Familie, lies, bilde Dich weiter, verfolge Dein Hobby. Wenn Du Geld brauchst, geh irgendwas anderes arbeiten – als Schauspieler hast Du Deine Arbeit getan. Gönne Dir eine Auszeit. Ich bekam früher die interessantesten Angebote immer im Urlaub – weil ich losgelassen habe. Also lass auch los – weil Du Deine Arbeit gemacht hast. Ich finde, das ist bereits ein grosser Erfolg. Vertraue auf Aktion und Reaktion. „Sie werden Dich finden“ sagte damals nach meiner Ausbildung Susan Batson zu mir. Und sie haben mich gefunden. Wenn sie Dich nicht finden, hast Du Deine Arbeit nicht gut genug gemacht. Dann fang nochmal bei Schritt 1 an.
„Wie komm ich am besten in eine Agentur?“
Das ist die Gretchenfrage und die Standardfrage ALLER Schauspieler ohne Agentur. Und die Frage „Wie kriege ich eine bessere Agentur?“ ist oft eine Frage von Schauspielern MIT Agentur. Ich nehme schon mal einen Fakt vorweg:
Der Beruf ist schwierig ohne Agentur und schwierig mit Agentur. Eine Agentur zu haben ist wie eine Beziehung: Das Leben ist kompliziert als Single und es ist kompliziert mit einer Beziehung. Der Schauspieler sollte sich erstmal fragen, ob er überhaupt beziehungsfähig ist. Genauso wie es glückliche Singles gibt, gibt es nämlich auch glückliche Schauspieler, die ohne Agentur erfolgreich oder „einfach nur“ bei der ZAV sind. Die ZAV ist im Gegensatz zu manchen privaten Agenturen wenigstens so ehrlich, dass sie von Anfang an betont, dass sie keine aktive Akquise betreibt. Dafür verlangt die ZAV aber auch keine Provision. Wie in jeder Beziehung ist man für sein Glück selbst verantwortlich. Wenn man für sein Unglück oder Misserfolg den Partner oder die Agentur verantwortlich macht, dann hat man eh ein Problem – und zwar mit sich selbst. Nochmal: Jeder Single und jeder Partner ist für sein eigenes Glück verantwortlich. Ein Partner ist nur das i-Tüpfelchen des eigenen Glücks und eine Agentur nur das i-Tüpfelchen des eigenen Erfolgs. Denn zu 80% kommt das Glück in einer Beziehung und der Erfolg mit einer Agentur aus der eigenen Arbeit an sich selbst. Ein Partner oder eine Agentur begleiten und unterstützen bestenfalls Deine Entwicklung. Wenn Dich Dein Partner oder Deine Agentur blockieren und nicht unterstützen, dann solltest Du sie nach einer gewissen Karenzzeit wechseln. Wenn man nun gar keine Agentur hat, dann ist es wie ein Single mit Partnerwunsch zu sein. Es gibt so viele verzweifelte Singles und alle machen denselben Fehler: Sie wollen nur, aber sie geben nichts. Oder sie geben zu viel und sind beleidigt, wenn sie das nicht im selben Maße zurückbekommen. Ein Schauspieler wünscht sich, dass die Agentur ihm Jobs und vermittelt und die Agentur wünscht sich, dass der Schauspieler Provision generiert. Beide wollen nur Geld, beide wollen dasselbe voneinander – so funktioniert das nicht! Nur wenn ich als Single in meinem eigenen Glück mit mir selbst schwimme, kann ich etwas von meinem Glück teilen – und bekomme dafür im Gegenzug noch mehr Glück von meinem Partner. Und nur wenn ich als Schauspieler in meinem eigenen künstlerischen Erfolg schwimme, kann ich meinen künstlerischen Erfolg mit der Agentur teilen und bekomme im Gegenzug die Vermittlung zu finanziellem Erfolg. Eine Beziehung ist ein Geben und Nehmen. Wer nichts zu geben hat bekommt auch nichts. Ganz nüchtern betrachtet ist jede Beziehung eine Kooperation. Eine Beziehung ist eine Allianz und im besten Fall eine Symbiose: Beide Partner ziehen einen Vorteil aus der Kooperation, sind aber beide auch ohne einander überlebensfähig. Ich weiss selber, wie sehr ich mir als Schauspieler eine etablierte Agentur gewünscht habe, die mir Ansehen und Jobs vermittelt. Letztlich habe ich bei ALLEN meinen Agenturen die Jobs zu 75% selbst an Land gezogen. Egal, ob das eine etablierte Agentur war oder nicht. Wie naiv von mir zu denken, dass meine Agentur alleinig für meine Jobs verantwortlich sei! Meine privaten Beziehungserfahrungen lasse ich hier mal aussen vor – ich kann nur sagen, die Erfahrungen sind äquivalent.
Umgekehrt kenne ich den O-Ton eines Agenten „Ich wünsche mir einen prominenten Klienten, dessen Karriere von selbst läuft!“ Ebenfalls naiv – denn als ob die Karrieren von Prominenten von selbst laufen würden! Die laufen von selbst höchstens abwärts. Als arbeitsloser bzw. nicht arbeitender Schauspieler auf der Suche nach einer Agentur zu sein, ist wie Samstag abends im Club die Liebe seines Lebens zu suchen: Mit Stielaugen und voller Erwartung glotzen sich alle nur gegenseitig an. Und ein tete-a-tete ist nicht die Liebe des Lebens! Beziehung ist frei nach Hape Kerkelings Evje van Dampen „Arbeit, Arbeit, Arbeit“. Und in einer Beziehung hat man Probleme, die man als Single gar nicht hätte! Deswegen überlege Dir, ob Du überhaupt diese Agentur-Beziehung willst. Man muss sich Samstag abends im Club wie auch auf der Suche nach einer Agentur seiner Stärken bewusst sein – was habe ich zu geben? Und dann muss man herausfinden, was die anderen Singles bzw. die Agenturen suchen und brauchen. Wenn Du das weisst und sie Deine Stärken wollen und brauchen, dann ist es ein Match. Diese Strategie gilt für Männer wie für Frauen. Das heisst, sowohl als Frau als auch als Mann, als Schauspielerin oder als Schauspieler, musst Du eines machen: Liefern. Show what you got. Nur so läufts. Wie bei der Partnersuche sollte man auch bei der Agentursuche in seinem Teich fischen und nicht in den Teichen einer anderen Liga. Wenn Du im falschen Teich fischst, dann über- oder unterschätzt Du Dich. Ist man ein grosser Fisch im eigenen Teich geworden, dann kann man sich auch überlegen, in einen anderen Teich zu springen. Aber step by step, denn Treue ist auch im Schauspielbereich ein sensibles und nur individuell zu lösendes Thema. Jede Beziehung hat ihre eigenen Regeln.
Ich fasse zusammen:
SCHAUSPIEL UND COACHING. Das ist ein komplexes Thema. Deswegen habe ich meinen Vortrag beim 36. Münchner Filmfest verschriftlicht.
Jonathan Berlin nannte diesen Text ein „Manifest“. Und ja, vielleicht ist es das. Mein Ziel war von Anfang an, dass Schauspielcoaching richtig verstanden wird. Dass eben auch und gerade sehr gute und sehr gut ausgebildete Schauspieler oder Schauspieler in Ausbildung mit einem Coach arbeiten können, dürfen und sollten. Ich möchte das Verständnis von Schauspielcoaching erneuern. Dafür werde ich auf die 7 typischen Fragen zum Coaching eingehen, die mir immer wieder gestellt werden. Und es gibt kein besseres Beispiel für Schauspiel und Coaching als Jonathan Berlin. Ich arbeite mit ihm seit über 7 Jahren – am Anfang unserer gemeinsamen Arbeit war er erst 17 und bewarb sich auf Schauspielschulen.
Kurz seine Biografie: Jonathan Berlin wurde 1994 in Ulm geboren und wuchs in der schwäbischen Kleinstadt Günzburg auf. Er spielte seit seinem achten Lebensjahr Theater, spielte im Jungen Ensemble des Theaters Ulm und stand mit 15 er das erste Mal vor der Kamera. Für die Hauptrolle in dem Kurzfilm JEAN (Regie: Alexander Jaschik) schickte ihn sein Agent zu mir zum Coaching. In dieser Arbeit lernten wir uns kennen und anschliessend folgte eine Nebenrolle in dem Kinofilm UND MORGEN MITTAG BIN ICH TOT (Regie: Frederik Steiner) neben Liv Lisa Fries. Jonathan ging dann auf die Otto Falckenberg-Schauspielschule, die er 2016 erfolgreich abschloss. Während des Studiums spielte er als Gast an den Münchner Kammerspielen und übernahm parallel erste größere Rollen für Film & Fernsehen wie etwa im ZDFDreiteiler TANNBACH (Regie: Alexander Dierbach) oder dem Kinofilm SCHNEEBLIND (Regie: Arto Sebastian). Für seine Hauptrolle in der Romanverfilmung DIE FREIBADCLIQUE unter der Regie von Friedemann Fromm gewinnt Jonathan 2018 den New Faces Award als Bester Nachwuchsdarsteller und ist für den Deutschen Schauspielpreis 2018 nominiert. Auf dem Filmfest München lief Jonathan mit einer Hauptrolle in Thomas Stubers Romanverfilmung KRUSO – KRUSO läuft im Herbst auf der ARD.
Bevor der Hauptteil losgeht, möchte ich noch ein paar Sachen klären:
Ein Coach muss STRUKTUR geben und ein KONZEPT haben. Genauso wie es der Regisseur und der Schauspieler haben sollte. Sonst verliert man den roten Faden und kommt vom Hundertsten in Tausendste. Auch ein wichtiger Vorteil von Coaching – den Faden in der Vorbereitung nicht zu verlieren. Ich muss vorab sagen, dass ich politisch inkorrektes Gendering verwende. Ich sage immer „der Schauspieler“. Ich verwende dies abstrakt und geschlechtsunabhängig. Ich meine damit auch SchauspielerINNEN. Dies ist nun ein langer Text, aber manches braucht eben seine Zeit – Coaching auch. Und Zeit ist im Film durch nichts zu ersetzen, ausser durch Zeit. Coaching ist IMMER Method Acting. Method Acting ist ein Kunstwort. „Method Acting“ heisst übersetzt METHODISCHES SCHAUSPIEL. Das ist, was ich mache. Das ist, was ALLE Schauspieler machen: METHODISCHES SCHAUSPIEL. Denn jeder Schauspieler hat gewollt oder ungewollt seine Methode, seine Art, sich vorzubereiten. Es war der Russe Konstantin Sergejewitsch Stanislawski (1863 – 1938), der als historisch Erster alle Schauspieltechniken dokumentierte. Seit Stanislawskís Wissenschaft 1923 in die USA kam, ist es immer wieder dasselbe:
Überall tauchen dieselben Methoden auf – nur mit anderen Namen, anderen Schwerpunkten, anderen Begriffen. Es gibt nun einmal nur eine gewisse Anzahl an grundsätzlichen Schauspielmethoden. Der Rest sind Variationen oder Kombinationen davon und eben nicht die Technik „Method Acting“. Es ist ein ständiger Kreis und gegenseitige Inspiration zwischen Schauspielern, Coaches und Koryphäen in der Geschichte des Schauspiels und der Schauspieltechnik. Ein Coach sollte allerdings die Techniken, die er weitergibt, auch verinnerlicht haben. Welche Methode Du für Dich findest und anwendest ist letztlich Deine Entscheidung – oder sie wird von Deinem Coach oder Regisseur oder Kollegen für Dich getroffen. Aber wer will sich das schon aus der Hand nehmen lassen?
Jetzt geht’s los: Das sind die 7 typischen Fragen zum Thema Coaching:
Die Frage bei einem Coaching-Termin ist vielmehr:
Warum kommst Du zu einem Coach?
Geht es um GRUNDSATZARBEIT oder KONKRETE ARBEIT?
KONKRETE ARBEIT:
GRUNDSATZARBEIT:
Susan Batson nannte sie die „5C´s“:
Wann reagiert deine Rolle wie und vor allem warum?
Das heisst, es werden gemeinsam Akzente gesetzt, Spiel-Entscheidungen getroffen und die Abrufbarkeit und Reproduktion sicher gestellt. An alle Regisseure und Caster: Das heisst nicht, dass ein Schauspieler einen fixen Plan bekommt – im Gegenteil, er muss FLEXIBEL bleiben und seine Rolle modulieren können, um aus dem Moment und aus den Umständen heraus agieren zu können. Die Arbeit für Castingvorbereitung oder Rollenarbeit für Dreharbeiten ist im Kern immer dieselbe – nur ist eine Hauptrolle natürlich mehr Stoff und muss noch tiefer gearbeitet werden als ein Casting. Ein Casting nenne ich eine Skizze, eine Filmrolle ein Ölbild.
Kommen wir nun zu Coaching in der grundsätzlichen Arbeit – also wenn die Karriere nicht läuft, man in einer Krise ist oder sich einfach neu orientieren möchte:
Als Erstes kommt die ANAMNESE:
Wo steht der Schauspieler ausbildungstechnisch, beruflich, emotional? Welches Fach belegt er oder welches Fach wäre geeignet? Benötigtes Fachvokabular wird geklärt – was ist Need, Action, Objective, Tragic Flaw und so weiter..Dann gilt es, das Instrument des Schauspielers in Balance zu bringen. Dafür gibt es 6 wichtige Bereiche, die bei jedem unterschiedlich stark im Fokus stehen:
PHYSIS
Die Essenz des Schauspielers muss er durch seine Physis unterstützen. Was nicht heisst, dass Schauspieler manisch auf ihr Äusseres auf Kosten ihres Innenlebens achten sollen! Die Mädels hungern sich runter und rauchen nur noch, statt zu essen und als Mann muss man ja jetzt mindestens einen Waschbrettbauch haben. Aber vor lauter Askese oder Fitnesswahn verlieren die Schauspieler den Kontakt zu ihrem Inneren. Das Feuer ist weg. Das darf nicht passieren.
BILDUNG
Ein Schaupieler muss lesen, sich in den Künsten, Malerei, Literatur oder Musik auskennen und gesellschaftlich und politisch informiert sein. Weil er dadurch die Vergangenheit und die Gegenwart besser versteht. Das wird oft als INTELEKTUELLE EXTRAVAGANZ bezeichnet. Aber wir sind Künstler! Dadurch treffen wir cleverere, tiefere und intelligentere Entscheidungen für eine Rolle. Das verbessert auch die →IMAGINATION
Wir müssen die VORSTELLUNGSKRAFT trainieren.
Durch Rückbesinnen auf eigene Erfahrungen und gleichzeitiger Erweiterung des eigenen Horizontes durch Bildung kann man sehr viel besser EIGENE BILDER in der Vorstellung entstehen lassen. Und das ist wichtig, denn ein Schauspieler sieht am Set vor allem das Filmteam vor sich. Aber der Regisseur und die Zuschauer müssen BILDER in den Augen des Schauspielers sehen.
EMOTIONALE FLEXIBILITÄT
Dafür muss man sich erstmal seiner eigenen Gefühle bewusst werden. Oft ist da erstmal viel Frust und Traurigkeit da. Die muss man los werden und sich von der Seele reden. Erst dann hat man Zugang zu tieferen Gefühlen. Denn hinter jedem Gefühl verbirgt sich ein anderes Gefühl. Wenn man sich dieser vielen und auch tieferen Gefühle bewusst wird – sei es durch Gespräche oder durch Training im Studio oder bei Workshops – dann begreift man, dass die Basis für alle Gefühle Gedanken sind. Dann hat man begriffen, dass man seine Gefühle als Schauspieler durch Gedanken steuern kann. Und dann trainiert man, diese Gefühle in der Praxis auszudrücken.
AUFMERKSAMKEIT
Schauspieler sind sehr sensible Menschen – sie müssen Gerüche, Geschmäcke, Klänge, emotionale Stimmungen und die Stimmung der Umgebung deutlicher wahrnehmen als normale Menschen. Und sie müssen sie nicht nur deutlicher wahrnehmen, sondern sie müssen sie auch noch abspeichern, um sie vor der Kamera reproduzieren zu können. Deswegen heisst Coaching, die Sinne eines Schauspielers zu schärfen und sich zu fokussieren. EMPATHIE Mit Empathie meine ich nicht politisch korrektes Verhalten von Schauspielern – im Gegenteil: Sie müssen Empathie für ihre Rolle haben! Auch wenn es ein Mörder ist. Christoph Waltz wurde einmal gefragt, wie es denn sei, einen Mörder zu spielen und wie er sich darauf vorbereitet. Und er meinte „ICH LESE DAS DREHBUCH. ICH MUSS KEIN MÖRDER SEIN UM EINEN MÖRDER ZU SPIELEN:“ Der Schauspieler ist der ANWALT seiner Rolle. Er muss die Rolle verstehen und lieben bis in kleinste und sogar bis in intime Details. Schliesslich teilt der Schauspieler seinen Körper mit der Rolle. Die Empathie eines Schauspielers für seine Rolle muss grenzenlos sein – er weiss aber auch, was seine Rolle NICHT tut. Das ist nicht zu verwechseln damit, was der Schauspieler nicht tun möchte. Also keine Entschuldigungen für EGOS und DIVAS! Der Schauspieler hat nicht nur Mitgefühl, sondern auch VERANTWORTUNG für seine Rolle. Das macht ihm sein Coach bewusst und präzisiert die Rolle.
So, wir sind immernoch beim Coaching in der Grundsatzarbeit. Oft liegt es am nicht aussagekräftigen Material des Schauspielers, dass er nicht dreht. Er wird schlichtweg nicht richtig gesehen, weil er sich nicht richtig zeigt! Wenn man ein Problem mit sich Ausstellen hat, sollte man einen anderen Beruf ergreifen. Es geht darum, dass die Essenz eines Schauspielers sichtbar wird. Was unterscheidet Dich von den anderen? Was macht Dich besonders? Diese Besonderheit kann man nur durch Selbst-Bewusstsein erreichen. Und Selbst- Bewusstsein erreicht man nur durch Erfahrung und Arbeit. Coaching ist Arbeit an Deinem Selbst-Bewusstsein. Wenn Du ein unbelecktes Pflänzchen bist, dann sei ein unbelecktes Pflänzchen! Aber selbst die jüngsten Pflanzen unterscheiden sich voneinander. Wenn Du schon sehr viele Erfahrungen gemacht hast, dann bit Du eine Schatzkiste. Wir holen zusammen die Juwelen aus de Schatzkiste. Imaging und Profiling ist ein wichtiger Teil der grundsätzlichen Coachingarbeit. Wenn ein schlecht aufgestellter Schauspieler zu mir kommt, dann machen wir Anamnese, und finden seine Essenz heraus. Wir inden den richtigen Fotografen für Schauspielerbilder, wir erstellen mindestens eine Demoszene, dann sprechen wir über die richtige Agentur und die für ihn relevanten Caster. Und dann heisst es: Abwarten. Geduld ist hart, aber wahnsinnig wichtig. Am Set wartet man ja auch die meiste Zeit. Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.
Zum Profiling in der grundsätzlichen Coachingarbeit
Wie für alle Künstler – Maler, Sänger, Schriftsteller – ist harte und viel Arbeit, ständiges Weiterentwickeln, besser und klarer werden unablässlich.Aber für jeden Künstler jeder Kunstform ist die Vernetzung, das Marketing überlebenswichtig. Mit Profiling meine ich nicht die polizeiliche Beweisführung oder Täterbeschreibung, sondern eine zur Arbeitsvermittlung nutzbare Erstellung des Gesamtbildes Deiner Persönlichkeit, Deine PUBLIC PERSONA Ein Schauspieler ist automatisch – ob er will oder nicht – eine öffentliche Persönlichkeit. Ich meine nicht automatisch ein Promi, sondern eine der Öffentlichkeit zur Disposition gestellte Persönlichkeit. Um sich selber zu schützen, muss der Schauspieler eine PUBLIC PERSONA entwickeln. Aber eben auch um Rollen zu bekommen. Klingt kompliziert, aber wenn ich ein paar Namen sage, versteht ihr mich: Matthias Schweighöfer, Florian David Fitz, Jessica Schwarz, Iris Berben, Hannelore Elsner.. usw. Ihr habt sofort ein Bild vor Augen! Ihre PUBLIC PERSONA. Nicht jeder Mensch hat es verdient, Dein wahres Ich zu kennen. Lass sie ruhig denjenigen kritisieren, von dem sie denken, dass das Du bist. Dafür ist die Public Persona da. Caster, Redakteure, Produzenten oder Regisseure sollen Deine Public Persona im Kopf haben. Sie sollen ein klares Bild von Dir haben, um an Dich zu denken. Es ist naiv zu glauben, als Schauspieler solle man nur man selbst sein. In Wahrheit geht jeder professionelle Schauspieler – ob bewusst oder unbewusst –
mit 3 verschiedenen Persönlichkeiten ans Set:
Die Public Persona wird im Profiling entwickelt. Für alle Schauspielerbilder, für facebook, Instagram, Branchen-Veranstaltungen und für berufliche oder öffentliche Termine. Als Beispiel: Was viele nicht wissen ist, dass Nicole Kidman es hasste, auf roten Teppichen zu sein. Und deswegen haben Susan Batson und sie eine Public Persona entwickelt. Und zwar über ICON-Arbeit. Nicole machte ab dann immer MARYLIN MONROE auf dem roten Teppich. Sie konnte es bald geniessen, auf roten Teppichen zu sein fühlte sich durch die Public Persona geschützt. Aber Vorsicht! Man merkt, wenn Profiling schlampig gemacht wurde oder wenn einem
der Schauspieler etwas vorspielt! Ich hasse es, wenn Schauspieler einem etwas vorspielen und man merkt, dass sie das nicht wirklich sind! Da fühlt man sich verarscht! „Man merkt die Absicht und man wird verstimmt.“ (aus Goethes Torquato Tasso) Das gilt fürs Profiling genauso wie fürs Schauspielcoaching. Wenn ich im Spiel die Absicht spüre, bin ich verstimmt. → Das beste Coaching und Profiling ist das, das man nicht merkt. Zusammenfassend: Der Unterschied zwischen Profiling und Coaching ist: Profiling ist für die Public Persona, das äussere Bild, und Coaching ist für die inhaltliche, künstlerische Arbeit. 3. Stimmen die Vorurteile darüber, wer Coaching nötig hat? 1. Coaching ist nur für Schauspieler, die keine Ausbildung haben Nein, denn ich bin kein Schauspiellehrer und ich arbeite fast nur mit Schauspielern, die eine Ausbildung haben oder gerade in Ausbildung sind. 2. Coaching ist nur für Schauspieler, die schlecht sind Nein, denn alleine DASS sie sich einen Coach suchen, heisst, dass sie gute Schauspieler sein sind. Weil sie sich und ihre Arbeit ernst nehmen und eben mutig genug sind, ihre Arbeit vor einem Coach zur Disposition zu stellen. 3. Coaching ist nur für schwache Persönlichkeiten Nein, denn im Coaching geht es ja genau darum, DASS sie ihre Schwäche zur Stärke machen. Und für diese Entscheidung muss man sehr mutig sein. Schauspieler müssen oft schmerzhaft lernen, dass Ihre private Schwäche nicht interessiert. Die interessiert keine Sau! Und wenn jemand nur an Deiner Schwäche interessiert ist, heisst es aufpassen! Ziel des Schauspielcoachings ist es, diese privtae Schwäche zu einem Teil der Rolle machen. Und die Rolle stellt diese Schwäche bewusst aus oder versteckt sie bewusst. Mit Augenzwinkern: Ein Schauspieler, der zu einem Coach geht, ist nicht schwach. Denn er hat unterbewusst die Überzeugung, dass er eigentlich ein verdammt guter Schauspieler ist. Er weiss nur nicht, wie er es zeigen soll. Und dabei hilft ihm ein Coach, damit der Schauspieler sich traut, seine Grösse zu zeigen. 5. Coaching stört die Arbeit des Regisseurs Ja, aber nur die Arbeit eines schlechten Coaches! Ein guter Coach gibt dem Schauspieler ein Fundament mit, mit dem er den Regisseur überrascht und interessiert. Dann geht die Arbeit des Regisseurs los. Der Schauspieler wird quasi aus der Hand des Coaches in die Hand des Regisseurs gegeben. Was auch nicht ganz korrekt ist, denn zwischen den „Händen“ des Coaches und des Regisseurs steht der Schauspieler selbst, der die Coachingarbeit verinnerlicht und trainiert. Ich habe mit einem grossartigen Regisseur beim Crew Call lange über Coaching und Regie gesprochen und wir sind zu dem Ergebnis gekommen:
„MACH DU DEINEN JOB, ICH MACH MEINEN“
Coaching und Regie haben also eine klare Arbeitsteilung. Fakt ist meiner Erfahrung nach, dass bis heute ALLE Regisseure unsere Angebote dankbar angenommen haben. 4. Welche Rolle nimmt der Coach gegenüber dem Schauspieler ein? Zu allerserst ist ein Coach ein Reflektor. Damit sich der Schauspieler selber sieht. Dann ist der Coach ist eine Vetrauensperson. Du machst Dich im übertragenen Sinne nackt bei ihm und offenbarst ihm alle Deine Schwächen und Zweifel. Das muss in einem geschützten Rahmen passieren, bei absoluter DISKRETION. Aber der Coach ist weder Agent, noch Caster, noch Redakteur, noch bester Freund, noch Therapeuth, noch Partner, weder Papa noch Mama. Er ist übrigens auch kein GURU. Denn was bringt Dir ein Guru? Nichts, denn er steht Dir nicht zur Seite! Ein Guru hat visionäre Techniken, ist ein Gelehrter der Kunst mit wahnsinnig viel Erfahrung. Studiere seine Vison und seine Technik. Er oder sie sitzten in LA oder New York, aber Du brauchst ein physisches Gegenüber. Jemand, der für Dich erreichbar ist – vor, nach und während des Drehs. Was meint Ihr wie oft ich täglich Whatsapps oder Anrufe von meinen Klienten für Detailfragen bekomme? Das ist ok, das ist Teil des Coachings. Für meine festen Klienten bin ich 24/7 erreichbar. Ein Coach ist also ein Mentor. Jemand, der mental neben Dir ist, den Du mental verinnerlicht hast. Oder eben auch direkt kontaktieren kannst. Ein Coach ersetzt nicht Dein Denken. Er ist bei wichtigen Fragen Dein Berater, ein Lernbegleiter, ein Visionär Deines Potentials. Der an Dich glaubt, wenn Du oder andere zweifeln.
Ein Coach gibt Dir die Leitersprossen zur Erfüllung Deines Potentials. Ob Du dann die Leitersprossen gehst, ist Deine Entscheidung.
Ich persönlich halte die Gesprächsarbeit für am Wichtigsten. Nicht weil ich ein Labersack bin und mich gerne sprechen höre, sondern weil ich zusammen mit dem Klienten die Rolle erschaffe und alles über das Bewusstsein geht. Wir erschaffen gemeinsam die Figur und irgendwann hebt sie ab und fliegt. 6. Welche Methoden verwendet ein Coach? Da muss man erstmal eine Grundsache klären:
Willst Du präsentierend und repräsentierend spielen?
Uta Hagen definierte das 1973 so:
„Formalisiertes, rein äußeres Spiel (repräsentierend) tendiert dazu, den Moden zu folgen“. Momentan ist es „in“, somanmbul zu spielen, Underplay bis gar nichts mehr da ist, oder nur laut und „Hey hey hey ich bin ein Proll!“ oder „Ich spreche so wahnsinnig leise und undeutlich, weil ich dann interessant rüberkomme!“ „Inneres Spiel (präsentierend) ignoriert die Moden und kann folglich so zeitlos wie die menschliche Erfahrung selbst sein“ Ich arbeite nur präsentierend, denn „Ich kann nur etwas lehren, an das ich glaube.“ (Uta Hagen) Sein oder nicht sein. Entweder man IST die Rolle oder man stellt sie dekorierend dar. Die zweite Grundentscheidung ist keine Entscheidung sondern eine Gleisweiche, die bei jedem Schauspieler anders sein kann:
VON INNEN NACH AUSSEN
VON AUSSEN NACH INNEN
KOMBINATION der der beiden Von Innen nach aussen:
Von der PSYCHE zur PHYSIS
Im Mittelpunkt steht die IDENTITÄT DES SCHAUSPIELERS und dessen absolute VERSCHMELZUNG mit der Rolle. Es geht um die PERSÖNLICHE BIOGRAFIE des Schauspielers, seine ERINNERUNGEN und seine damit verknüpften GEFÜHLE, die er der ROLLE GIBT. Das ist eine sehr GEBENDE Einstellung.
Vertreter von VON INNEN NACH AUSSEN:
der frühe Konstantin Stanislavski, Lee Strasberg, Susan Batson, Ivna Chubbuck….
Von Aussen nach Innen: VORSTELLUNGSKRAFT – die Qualität der Vorstellungskraft entscheidet über Authenzität GEGEBENE UMSTÄNDE – der Ort sagt Dir, wie Du spielen musst PHYSISCHE AKTIONEN – Acting is action, action is doing. Basis auch hier TEXTANALYSE → SOZIOÖKOMOMISCHE UMSTÄNDE Definiere die Rolle über den Umgang mit REQUISITEN, KOSTÜM und MASKE KÖRPERLICHE HALTUNG → das führt Dich über die Figur letztendlich zu Dir selbst
Vertreter von VON AUSSEN NACH INNEN:
Francois Delsarte; (Delsartismus nennt sich eine Vielzahl von bewegungspädagogischen
Schulen, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Abkehr vom Ständeverhalten hin zum
Neuhumanismus anstrebten) Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold (Biomechanik, antirealistische Bühnenkunst) der späte Konstantin Stanislavski, Stella Adler, Sanford Meisner, Bekanntestes Beispiel: MARLON BRANDO, er war Schüler von STELLA ADLER. Er war sehr viel intelektueller als viele denken. Er sah in allen Rollen anders aus und war doch immer Marlon. Vergleiche seine Rollen in ENDSTATION SEHNSUCHT, DIE FAUST IM NACKEN, DER PATE, DER LETZTE TANGO VON PARIS, APOCALYPSE NOW..
Deswegen ist mein Logo übrigens auch wtf would Marlon do? Marlon Brando ist DAS Jahrhunderttalent. Allerdings wäre er meiner Meinung nach nicht so berühmt geworden, hätte JAMES DEAN länger gelebt.
Die KOMBINATION von beiden: Das i-Tüpfelchen, vor allem aber die Realität des Schauspiels ist eine KOMBINATION von Von Innen nach Aussen und von Von Aussen nach Innen. Jeder Schauspieler und jeder Coach braucht einen STEIGBÜGEL, „einen Zipel, an dem er das Leben und die Kunst packt“. Das war frei nach Goethe und ist im übertragenen Sinne gemeint! Irgendwo muss man eben anfangen. Beim INNEN oder beim AUSSEN. Und man fängt intuitiv dort an, wo es am leichtesten fällt. Und dann kombiniert man. Damit spart man sich viel Zeit und Arbeit. Denn die eine Technik ist in manchen Bereichen einfacher und direkter als die andere. Wir sind frei und machen, was wir wollen. Und nur das, was funktioniert, zählt. Als Schauspieler hat man eine Methode verinnerlicht oder man wurde mit einer Methode ausgebildet. Als guter Coach muss ich natürlich VERSATIL sein und beides kennen und können, denn jeder Klient ist anders. Die 7. und wichtigste typische Frage: Welcher Coach ist der richtige für MICH? In erster Linie hat man einen Coach, um in eine Rolle reinzukommen. Nun sucht man dafür eine Vetrauensperson und das ist wie bei einer Beziehung oder einem Therapeuth: Die Chemie ist extrem wichtig. Den akzeptiere ich, dem vertraue ich, von dem lasse ich mich führen, mit dem kann ich in den Konflikt gehen, bei dem fühle ich mich wohl. Will ich einen Mann oder Frau? Eher Alt oder eher jung? Entscheidend ist die Substanz eines Coaches – ein Therapeut hat Psychologie oder Psychatrie studiert und auch ein Schauspielcoach sollte Schauspiel und Schauspieltechniken studiert haben. Nachdem „Coach“ wie „Schauspieler“ kein geschützter Beruf ist, muss ein Coach natürlich keinen akademischen Abschluss haben. Aber wie bei einer parethätischen Prüfung der ZAV sollte er genug Erfahrung und Wissen über Schauspiel vorweisen können. Er sollte selber gepielt haben. Weil ein Coach wissen muss, wie es ist, in einer Rolle zu stecken und auf der Bühne oder vor der Kamera zu stehen. UND er muss an einem Punkt sein, wo er sich selber nicht primär als Schauspieler sieht. Warum? „Coach“ sollte nicht sein Nebenberuf sein, sonst kann er nicht tief genug einsteigen. Wenn er selber noch Schauspieler ist, fehlt ihm die Distanz zur Rolle, weil er sich immernoch selber als Schauspieler einbringen will. Mit „genug Wissen“ meine ich auch eine gewisse Bandbreite an Wissen. Natürlich gibt es Spezialisten für gewisse Methoden oder Gurus. Die „nur Chubbuck“ oder „nur Batson“ oder „nur Strasberg“ oder „nur Checkov“ oder „nur Meisner“ machen. Aber das finde ich persönlich eindimensional. Ein Coach sollte eben VERSATIL sein. Wenn Du Deine eine ultimative Technik gefunden hat, dann macht ein Spezialist Sinn. Es fragt sich nur, wie lang. Es gibt einen Kern, eine Schnittmenge aller Schauspieltechniken. Ja, es gibt fixe Parameter um zu benennen, was „gutes“ Schauspiel ausmacht. Die Beurteilung von Schauspiel ist nicht so vage, wie es viele Leute abseits der Kamera oder Bühne machen – Kritiker, Caster, Redakteure, Zuschauer.. Testet den Coach, was ER „gutes Schauspiel“ findet. Stimmt Ihr überein? Testet, wie gut er es benennen und differenzieren kann und was er für Möglichkeiten kennt, um dorthin, zu „gutem Schauspiel“, zu kommen. Wenn der Coach diesen „Test“ besteht, dann hat er eine solide Basis und wenn Ihr ihn auch noch sympathisch findet, dann arbeitet mit ihm oder ihr. Probiert es aus! Es kann sein, dass ihr 3 verschiedene Coaches ausprobieren müsst, bis ihr an den kommt, der speziell für Euch der Richtige ist. 1 guter Coach ist besser als keiner, 1 schlechter Coach ist schlimmer als keiner. Meine Klientin Julia Koschitz arbeitet mit unterschiedlichen Coaches an unterschiedlichen Rollen. Hauptsache nicht GLEICHZEITIG! Denn viele Köche verderben den Brei. Zu mir kam sie immer mit dramatischen Rollen – für unsere Arbeit hat sie auch immer Preise oder Nominierungen erhalten. Weitere Kriterien und quasi der Fragebogen für Deinen passenden Coach:
Abschliessen möchte ich meinen Vortrag auch mit einem Goethe-Zitat, -ich bin einfach Goethe-Fan- und dieses Zitat fasst meine ganze Vorrede und die ganze Veranstaltung zusammen:
„ES MUSS VON HERZEN KOMMEN, WAS AUF HERZEN WIRKEN SOLL.“